Installieren

2021 Typ: Glossar

Die öffentliche Wahrnehmung der Urbanen Praxis ist visuell geprägt durch Bilder von neu erschlossenen und oftmals fantastisch anmutenden Räumen, die andere Formen der kollektiven Erfahrung versprechen. Diese mit künstlerischen Mitteln hergestellten Handlungsräume lassen sich als Installationen begreifen, die in der Kunstgeschichte gemeinhin hybride künstlerische Praktiken ab den 1960er Jahren bezeichnen, die Aspekte der Ereignis- und Prozesshaftigkeit sowie Orts- und Zeitspezifik vereinen. Historisch verschob sich damals der Fokus von der Produktion eines einzelnen Werkes hin zur Reflexion der Bedingtheit des eigenen Handelns. Damit einher ging die sich Bahn brechende Auffassung des Eingebundenseins von künstlerischer Praxis in gesellschaftliche Prozesse. Mehr noch wurde künstlerischem Handeln das Potenzial einer gesellschaftlichen Wirksamkeit zugesprochen, im Sinne der Hervorbringung und der Veränderung von gesellschaftlicher Realität.
Die Praxis des Installierens beinhalten demnach immer auch das emanzipatorische Potenzial der künstlerischen Kontrollübernahme und Selbstermächtigung. Dabei bewegt sich dieses Handeln teilweise auch an den Grenzen des Erlaubten und darüber hinaus. Die Installation etabliert einen Raum außerhalb der üblichen Ordnung und öffnet damit gleichzeitig den Blick auf die Voraussetzungen dieser Ordnung selbst. Das Sichtbarmachen von Aushandlungsprozessen führt nicht nur zu einer kritischen Hinterfragung der eigenen Wertsetzungen, sondern schärft das Bewusstsein für die Bedingungen des gesellschaftlichen Kontextes. Dies lässt sich auch in der Entscheidungsstruktur vieler Initiativen der Urbanen Praxis ablesen, die sich selbst oftmals basisdemokratisch organisieren oder nach dem Konsensprinzip agieren. Diese Verknüpfung von Gesellschaftskritik und Selbstreflexion lässt sich mit Nowotny und Raunig als das instituierende Potenzial von Urbaner Praxis verstehen, das sich im Zusammenspiel von politischen Praxen, sozialen Bewegungen und künstlerischen Kompetenzen entwickelt.
Neben der Absicherung von konkret physischen Räumen ist eine strukturelle Verstetigung der Urbanen Praxis nicht zuletzt deshalb wichtig, weil im Hamsterrad der temporären Projektlogik kaum Ressourcen für die Dokumentation und Reflektion dieser Installierungspraxis bereitstehen und daher ein ständiger Verlust von Handlungswissen droht. Das stellt auch neue Anforderungen an die Aufgabe der Erhaltung von Urbaner Praxis, denn allein das Material konventionell zu lagern reicht hier nicht aus. Vielmehr braucht es Möglichkeiten zur Erprobung neuer Tradierungsweisen und der Weitergabe von Urbaner Praxis.

Dr. Anna Schäffler forscht praktisch und theoretisch zur Erhaltung von Kunst und Kulturgut an der Schnittstelle von Kunstgeschichte, Restaurierung und Kuratieren. Ihre Faszination für das Potenzial Urbaner Praxis begann während ihrer Arbeit bei der Zwischennutzung des Palastes der Republik in Berlin (2003–2005). Anna ist Mitbegründerin von CoCooN, einem Stadtlabor der Urbanen Praxis rund um die Erhaltung von künstlerischen, kollektiven und urbanen Praktiken.