Künstler_innenstipendium Istanbul-Berlin
Seit 2018 werden jährlich zwei Stipendien an in Istanbul lebende Künstler_innen vergeben. Das Stipendienprogramm der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert den kulturellen Austausch und unterstützt die künstlerische Entwicklung professioneller Künstler_innen als Bestandteil der aktiven Städtepartnerschaften zwischen Berlin und Istanbul und zur Stärkung der Verbindungen zur aktuellen türkischen Kunstszene. Das bereits bestehende Istanbul-Stipendium der damaligen Senatsverwaltung für Kultur und Europa wurde 2018 auf Initiative der nGbK zu einem echten Austausch erweitert, indem jährlich zwei Künstler_innen aus Istanbul von einer Jury ausgewählt und nach Berlin entsandt werden und umgekehrt. Es folgt der Überzeugung, dass internationaler Austausch und unmittelbare Kommunikation kulturelle Vielfalt als Bereicherung erlebbar werden lassen und zum kritischen Perspektivenwechsel einladen.
Nejbir Erkol
15. Juli – 15. Dezember 2025
Von Juli bis Dezember 2025 ist Nejbir Erkol Stipendiatin des Istanbul-Berlin-Stipendiums des Berliner Senats. In ihrer künstlerischen Praxis, die Video, Installation, Malerei und Performance umfasst, setzt sich Nejbir Erkol mit Fragen zu Prekarität, Migration, Identität und kollektiver Erinnerung auseinander. Die in der an Syrien grenzenden südostanatolischen Region Mardin geborene Künstlerin greift in ihren Projekten häufig auf ihre eigenen Erfahrungen mit politischer Gewalt und Vertreibung zurück und schafft Räume zur Reflexion darüber, wie Gemeinschaften sich erinnern, sich wiederaufbauen und ihre Geschichte(n) erzählen.
Im Zentrum ihres Langzeitprojekts Çukur (Loch), an dem sie seit 2019 arbeitet, steht eine Rakete, die während einer türkischen Militäroperation nur 97 Schritte von ihrem Haus entfernt einschlug. Die Arbeit konfrontiert die Dissonanz zwischen offiziellen Sicherheitsnarrativen und dem Leben in einem Kriegsgebiet. Durch diesen und weitere Vorfälle drängt sich für die Menschen zunehmend die Frage auf: Was ist ein sicherer Raum? Und gibt es so einen für uns?
Während ihrer Zeit in Berlin will Erkol erforschen, wie Kunst mit verschiedenen Gemeinschaften, Räumen und Praktiken zusammenwirkt, um sich kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und diese neu zu gestalten. Ihr besonderes Interesse gilt den fragilen Spuren, die Krieg in der Gesellschaft – sowohl in Berlin als auch in ihrer Heimatregion – hinterlässt, und dem Verständnis, wie wiederholte Erfahrungen von Gewalt und Entwurzelung kollektives Gedächtnis und künstlerischen Ausdruck verändern.
Darüber hinaus eröffnet der Aufenthalt in Berlin Erkol die Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu treten, die wie sie selbst vertrieben wurden, und zu erfahren, was es bedeutet, ein „zweites Leben“ in Deutschland zu beginnen. Ihr Projekt wird diese Erfahrungen dokumentieren und der Frage nachgehen, wie unter freiheitlichen Bedingungen Geschichten ohne Zensur erzählt werden können: was geteilt werden kann und wie.
Durch Kontakte mit der Diaspora aus Mardin hofft Erkol, ein Archiv persönlicher Geschichten und künstlerischer Antworten auf Vertreibung, Identität, Geschlecht, Migration und Prekarität zu schaffen. Ihre Arbeit möchte einen Beitrag zu einer breiteren Perspektive darüber leisten, wie Gemeinschaften nach Gewalt- und Verlusterfahrungen wiederaufgebaut werden können.
Erkol schloss ihr Studium der Malerei an der Hacettepe Universität in Ankara mit einer Arbeit über künstlerische Praktiken zum Thema Prekarität ab. Sie hat an zahlreichen internationalen Ausstellungen und Forschungsprogrammen teilgenommen, darunter Flux | bell sRTUcTURs (Berlin, 2024), Festival SACRe – Gaîté Lyrique (Paris, 2023), die 5. Mardin Biennale (Mardin, 2022) und SAHA Studio (Istanbul, 2025). Im Jahr 2023 gehörte sie zu den Preisträger_innen des Prince Claus Seed Award. Vor Kurzem eröffnete ihre Ausstellung „Making a Land“ in der Galerie Vitrin des Goethe-Instituts Ankara, Türkei.
Serpil Polat
15. Januar – 15. Juni 2025
Serpil Polats künstlerische Arbeit beschäftigt sich mit Fragen zu Identität, Geschlechterrollen, Ökologie, Stadt und Erinnerung. Dabei entwickelt sie eine einzigartige erzählerische Sprache an den Schnittstellen zwischen diesen Bereichen. Die Künstlerin nutzt Fotografie als Werkzeug, um die Geschichten der Orte, an denen sie lebt, zu verstehen und zu erzählen, setzt aber auch andere Medien wie Video, Ton und Schnitt ein, um ihre Darstellung zu untermalen. Im Mittelpunkt ihrer Produktionen stehen dokumentarische Fotoarbeiten, mit denen sie die verschiedenen Ebenen der Realität sichtbar machen will. Polat positioniert ihre Kunst als Mittel des Dialogs und der Konfrontation und beleuchtet mit ihren Themen nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche Fragen.
Die Beelitz-Heilstätten, im Südwesten Berlins gelegen, sind ein Ort mit einem tiefen sozialen Gedächtnis. Das als Hitlers Privatkrankenhaus bekannte Gebäude wurde während des Ersten und Zweiten Weltkriegs zur Behandlung verwundeter Soldaten genutzt und diente nach 1945 als Militärhospital der Roten Armee. In Fortführung ihrer Arbeit über verlassene Erinnerungsorte möchte die Künstlerin dokumentieren, wie die Beelitzer Heilstätten und ähnliche Gebäude zur sozialen Konfrontation, zur Abrechnung mit der Vergangenheit und zur Konstruktion von Erinnerung beitragen. Mit ihrer dokumentarischen fotografischen Arbeit möchte sie die historischen Realitäten und alternativen Diskurse dieser Orte sichtbar machen.
Serpil Polat studierte Fotografie an der Fakultät für Bildende Künste der Universität Kocaeli. Ihre fotografischen Arbeiten wurden in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht und waren in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen zu sehen. Von 2012 bis 2020 arbeitete sie als Mitglied des Kollektivs NarPhotos. Als Mitglied des Zin-Kollektivs konzentriert sich die Künstlerin auf individuelle Fotoprojekte und produziert Werke, die sich mit sozialen, kulturellen und individuellen Themen auseinandersetzen und dabei die Möglichkeiten der Dokumentarfotografie nutzen.
Das Stipendium der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt wird im Rahmen einer Kooperation zwischen der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) und dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin sowie dem DEPO in Istanbul ermöglicht.