Parteilichkeit

2021 Typ: Glossar

Wenn wir wollen, dass gesellschaftliche Konflikte die konstitutive Triebkraft einer neuen, kritischen und fortschrittlichen Urbanen Praxis bilden, dann stellt sich die Frage nach Akteur_innen und Themen dieser Konflikte – danach, welche Subjekte, Haltungen und Unterscheidungen die Ausgangs- und Bezugspunkte dieser Konflikte darstellen. Wie diese Positionierungen innerhalb von Auseinandersetzungen organisiert und repräsentiert werden können, ist keine banale Frage. Die historische Antwort darauf waren mit gewisser Berechtigung parteiische Versammlungen und Interessensvertretungen wie Gewerkschaften, Genossenschaften, Lobbygruppen, Vereine, Verbände und Institutionen und insbesondere die politischen Parteien. Ich möchte das Parteiische als Notwendigkeit jeder Urbanen Praxis hervorheben und für ein parteiisches Design plädieren.
Parteiisches Design ist jedoch nicht die Gestaltung der Arena möglicher Auseinandersetzung, nicht die Gestaltung vermittelnder Strukturen und partizipativer Prozesse des Austauschs, des Kompromisses und des Einvernehmens. Parteiisches Design versteht Gestaltung nicht als Tätigkeitsfeld distanzierter oder einfühlsamer Beobachter_innen oder mutiger wie auch sensibler Interventionist_innen. Nicht als letztlich übergeordnete Perspektive auf das gesellschaftliche Spiel der Differenzen. Parteiisches Design verortet das Entwerfen direkt in den Konflikten, in den dort verhandelten Dingen und Themen und bei den Akteur_innen dieser Auseinandersetzungen und ihren Haltungen. Design schlägt sich auf eine Seite.
Was fies klingt – parteiisch sein – und was auch wirklich gemein sein kann, weil es den gerechten Wettkampf verzerrt und keine objektive und neutrale Position darstellt, ist in der Praxis der Gestaltung erstens immer der Fall – wenn auch meist uneingestanden – und zweitens nötig. Einem parteiischen Design reicht es nicht mehr, ein humanistisches Weltbild vorzuweisen, eigene Vorstellungen vom guten Leben auf andere zu projektieren und redlich auf der Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten zu sein. Dieses harmonische Bild muss durch eines von unauflösbaren Konflikten gezeichnetes ersetzt werden. Gemeinsam mit den Akteur_innen und Themen dieser Konflikte könnte tatsächlich in die politische Ebene der Auseinandersetzung um Idee und Praxis des Zusammenseins als gelebte Form des Streitens eingetreten werden.

Jesko Fezer arbeitet als Gestalter zu gesellschaftlichen Relevanz entwerferischer Praxis. In Kooperation mit ifau (Institut für angewandte Urbanistik) realisiert er Architekturprojekte, ist Mitbegründer der Buchhandlung Pro qm in Berlin sowie Teil der Kooperative für Darstellungspolitik. Er gibt die Bauwelt Fundamente und die Studienhefte für problemorientiertes Design mit heraus. Er ist Professor für Experimentelles Design an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und betreibt mit Studierenden seit 2011 die Öffentliche Gestaltungsberatung St. Pauli.