Plattform

2021 Typ: Glossar

Digitale Plattformen haben in den letzten Jahren erheblichen Einfluss auf die Gestaltung urbaner Räume genommen. Sie unterlaufen herkömmliche Dienstleistungsangebote, erschließen noch nicht besetzte Nischen städtischen Bedarfs, verbinden unterschiedliche Gruppen direkt miteinander, suggerieren soziale Zugehörigkeit und stimulieren auf diese Weise neue Formen des Arbeitens, Zusammenlebens, Lernens, Kommunizierens und Konsumierens. Von Online-Shopping und Co-Working-Spaces bis zu plattformbasierten Bildungs-, Wohn- und Mobilitätsangeboten versprechen Plattformen, das Leben ihrer Mitglieder einfacher, genussvoller und aussichtsreicher zu gestalten. Nicht nur der individuell erzielte Nutzen, sondern auch die Idee einer neuen Art von Gemeinschaft mit geteilen Interessen, Werten und Anschauungen ist ein wesentlicher Teil der Attraktivität vieler digitalen Plattformen.
Um erfolgreich zu sein, sind kommerzielle Plattformen auf Netzwerkeffekte und damit verbundendes Wachstum angewiesen. Je mehr Interaktionen eine solche Plattform abwickelt, umso mehr Daten können gewonnen und für weitere Expansionsversuche eingesetzt werden. Global agierende Plattformen beeinflussen städtisches Verhalten, indem sie Nutzer_innen Zugang zu bequem konsumierbaren Services weltweit anbieten. Deren Nebenwirkungen verändern den konkreten städtischen Raum und das Leben in ihm sehr häufig negativ: Mietsteigerungen, Gig-Work, erhöhtes Verkehrsaufkommen, Umweltbelastungen, soziale und räumliche Segregation.
Angesichts der Folgen dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie eine sozial, politisch und ökologisch verantwortungsvolle Urbane Praxis auf Plattformen ablaufen und das gestalterische Potenzial von Plattformen selbst in die Hand nehmen kann. Wege der Aneignung dieses Potenzials eröffnen sich zum einen durch den Umstand, dass die wichtigste Ressource von Plattformen die jeweiligen Nutzer_innen und deren Interaktionen selbst sind – die Art der Inanspruchnahme einer Plattform kann somit auch abweichenden bzw. subversiven Charakter haben. Zum anderen können die technologischen Möglichkeiten von digitalen Plattformen – direkte Vernetzung, Echtzeitkommunikation, Koordination translokaler Öffentlichkeiten – auch jenseits von Gewinninteressen eingesetzt werden, um etwa Interessensgruppen, Hausgemeinschaften oder kooperativen Verbänden eine Aktionsbühne für urbanen Austausch, wechselseitige Unterstützung und Solidarität zu bieten.

Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer arbeiten als Architekturforscher, Autoren und Kuratoren in London und Wien. Sie leiten das Centre for Global Architecture und lehren an der TU Wien und am Goldsmiths, University of London. Zu ihren Projekten zählen u. a. die EU- und FWF-Projekte Networked Cultures (2005–08), Relational Architecture (2006–09), Other Markets (2010–15) Data Publics (2016–21), Incorporating Informality (2018–23) und Platformed City (2022–26) sowie der österreichische Beitrag zur Architekturbiennale Venedig 2021 zum Thema Plattform-Urbanismus.