Terrain Vague
Die Planung und Nicht-Planung in ihrer Aufgeräumtheit und Unaufgeräumtheit:
Die architektonische und städtische Planung beginnt oft mit dem technischen Aufmaß des Bestehenden und versucht in Folge, über die räumlichen Maße Urbanität und die größtmögliche Nutzungsbandbreite sicherzustellen.
Bei geplanten Orten wird der Zugang meist durch die soziale und gesellschaftliche Stellung kontrolliert. Geplante Orte haben oft Regeln und Vorschriften – manchmal sogar sehr genaue Verhaltensvorschriften – oder sie sind direkt für bestimmte gesellschaftliche Klassen geplant.
Ungeplantes versucht den Ort erst einmal so zu belassen, wie er ist, um dadurch einen größtmöglichen Zugang und eine sich immer wieder verändernde Nutzungsvielfalt zuzulassen. Ungeplante Orte werden von ihren Benutzer_innen immer wieder neu ausgehandelt.
Dies ist wichtig festzuhalten, da die ungeplanten – und manchmal auch die verplanten – Orte Ansatzpunkte bieten für eine künstlerische Urbane Praxis, die sich direkt mit der Geschichte, den aktuellen Bewohnern_innen und deren Wünschen auseinandersetzt. Vielleicht könnte man sogar sagen, dass die „Nicht-Planung“ einer Urbanen Praxis immer dann angewandt wird, wenn alle klassische Planung versagt hat.
Es gibt viele Bezeichnungen für ungeplante Orte, wertend im Deutschen: „Brachfläche“ und noch negativer im Englischen: „Wasteland“. Es wäre ratsam, das französische Terrain Vague für ein vages und unbestimmtes Gelände zu nutzen. Der Gärtner und Landschaftsplaner Gilles Clément hat dafür auch den Begriff der Dritten Landschaft geprägt, für dessen Existenz und Erhaltung man sich in Ergänzung zur klassischen Raumplanung einsetzen sollte. Er erklärt so die Flächen, die nicht vom Menschen beplant, beackert und bebaut werden – also unbenutzte und verlassene Gelände (neben dem ökologischen Primärsystem und dem menschgemachten Nutzraum) – zur Dritten Landschaft. Hierbei stellt er fest, dass diese Zonen große Diversität und Artenvielfalt aufweisen. In seinen Thesen spricht er sich dafür aus, Unproduktivität als Politik zu verstehen und „die Mentalität des Nicht-Eingreifens ebenso (zu) schulen, wie die des Eingreifens“. Dies entspricht einer künstlerischen Praxis, die versucht, das Nötigste mit und für einen Ort zu entwickeln. Dessen „Besetzung“ ist so angelegt, dass sie nach einer vorher festgelegten Zeitspanne wieder neu verhandelt wird. Oder man entscheidet sich für Refugien, die sich selbst überlassen sind und gleichzeitig in ihrer Unzugänglichkeit den größtmöglichen menschlichen Imaginationsraum bieten.
Die Dritte Landschaft und die poetische Zustandsbeschreibung eines Terrain Vague sind wichtige Bereiche, in der die Urbane Praxis modellhaft wirksam wird. Sie befinden sich im Zentrum und an den Rändern einer Stadt. Sie stellen immer wieder die Fragen: Wie kann man in einer durchgeplanten modernen Stadt, die eine gewisse (klein-)bürgerliche Aufgeräumtheit repräsentiert, und die zum Teil aus unterforderten Außenräumen und Abstandsflächen besteht, ergänzende alternative Lebensmodelle denken, zulassen, umsetzen und leben? Wie lassen sich Gebautes, Grün, Natur, Tier und Mensch zusammenbringen, in Austausch bringen und verdichten? Wieviel Aufgeräumtheit braucht man für die eigene Arbeit? Und für welche Räume lohnt es sich zu kämpfen?
Erik Göngrich ist forschender Künstler, politischer Architekt, produzierender Kurator, diskursiver Zeichner, gemeinwohlorientierter Koch und performativer Verleger. Seine Arbeit thematisiert die Nutzung und Veränderung des städtischen Raumes, welchen er aktiv skulptural mitgestaltet. Mit der von ihm initiierten MITKUNSTZENTRALE und deren SATELLIT betreibt er seit 2019 eine Werkstatt/einen Ausstellungsraum zu den Themen Materialkreisläufe und Kunst in Zeiten des Klimanotstandes.