Zentrum Peripherie

2021 Typ: Glossar

Nach Saskia Sassen beruht die Restrukturierung der Metropolen auf einer neuen Geographie. Zum einen spricht sie von einer „Geographie der Zentralität“, die mit der globalen Wirtschaft verbunden ist, zum anderen von einer „Geographie der Marginalität, die aus Unternehmen, ArbeiterInnen und Transaktionen besteht, welche in zunehmendem Maße abgewertet und durch dominante Sektoren entweder untergeordnet oder marginalisiert werden.“ Diese neue Marginalität besteht aus mehreren Faktoren: „die unvermeidliche ‘kreative Zerstörung’, die Teil des Wachstums ist; Verluste infolge internationaler und nationaler Konkurrenz; ungenügende Qualität der Produktionsfaktoren; Arbeitslosigkeit oder Überkapazität usw.“

Die Geographien der Zentralität und Marginalität lassen sich auf verschiedenen räumlichen Maßstäben verorten: In den Metropolregionen gibt es neben den Zitadellen-Archipelen Armutsnischen (lokal), neben boomenden Dienstleistungszonen niedergehende Industriestandorte (regional), neben aufstrebenden Global City-Agglomerationen abgehängte Stadträume, die wenig oder gar nicht an den Globalisierungsprozessen partizipieren (global). Damit bekommen die Begriffe „Zentralität“ und „Marginalität“, die früher für eine Dualität von hochentwickelten Industrienationen gegenüber „Dritte-Welt-Ländern“ standen, eine neue Bedeutung: „Diese sich intensivierenden Ungleichheiten stehen für eine Veränderung in der Geographie von Zentrum und Peripherie: Sie zeigen an, dass Prozesse der Peripherisierung in Zonen vonstatten gehen, die früher als Kernzonen (‘core’ areas) galten, ob nun auf der globalen, regionalen oder urbanen Ebene. Sie zeigen auch an, dass parallel zu den sich verschärfenden Prozessen der Peripherisierung auch Zentralität auf allen Ebenen ausgeprägter wurde.“

Die Figuration von Zentrum und Peripherie muss also in neuen Formen gedacht und dargestellt werden. Es gilt nicht mehr das überkommene konzentrische Raummodell, sondern es ist von fragmentierten Beziehungsmustern innerhalb eines disparaten Stadtgewebes auszugehen, das gleichermaßen durch Konzentrations- und Dekonzentrationsprozesse gekennzeichnet ist und unterschiedlich dimensionierte Zentren und Peripherien aufweist.

Tatsächlich wachsen in vielen Teilen der Welt die Städte anders, als dies in der fordistischen Nachkriegsära der Fall war. Die bekannten Formen des Städtischen, mit dominierenden dichten Innenstädten, umgeben von Ringen gewerblicher und wohnlicher Nutzung, welche sich in ihrer Dichte nach außen zurücknehmen, haben an Bedeutung verloren.

Klaus Ronneberger ist freier Publizist und einer der Kurator*innen von Plâce International: Die 73 Tage der Commune oder der lange Wellenschlag der Revolution am FFT Theater Düsseldorf. Er ist Autor von Peripherie und Ungleichzeitigkeit. Pier Paolo Pasolini, Henri Lefebvre und Jacques Tati als Kritiker des fordistischen Alltags (Adocs 2015); 1968 und die urbane Revolte, in: Johannes Porsch, Hedwig Saxenhuber, Georg Schöllhammer (Hg.): Wer war 1968? (Salzburg 2018).