Gastarbeiter 2.0 eröffnet am 12. April in der nGbK am Alex

13.3.24 Typ: Pressemitteilung

Gastarbeiter 2.0: Arbeit Means Rad
13. April – 16. Juni 2024
Eröffnung: 12. April, 19 Uhr
Pressevorbesichtigung: 12. April, 11 Uhr
Anmeldung unter presse@ngbk.de

Gastarbeiter 2.0: Arbeit Means Rad eröffnet am 12. April in der nGbK am Alex. Eine Ausstellung, eine Publikation und ein barrierearmes Vermittlungsprogramm untersuchen Migration, Arbeitsbedingungen und Klasse zwischen Deutschland und dem ehemaligen Jugoslawien. Ausgehend von Erfahrungen und Positionierungen von zwölf Künstler_innen aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, die in ihren Herkunftsländern, in Deutschland oder in beiden Regionen leben, öffnet das Projekt einen Raum für eine transhistorische Rekontextualisierung des Topos Gastarbeiter und zeigt postkoloniale, postmigrantische und feministische Perspektiven darauf auf. Der Untertitel des Projekts spielt auf die Verflechtung von Arbeit und Migration an: Der bosnische, kroatische, montenegrinische und serbische Begriff „rad“ bedeutet „Arbeit“.

Gastarbeiter 2.0 umkreist Machtverhältnisse in der Arbeitswelt, Migration und Prekariat. Das Projekt beleuchtet die jahrzehntelangen gegenseitigen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Abhängigkeiten zwischen Deutschland und Ex-Jugoslawien. Vier Segmente verdeutlichen verschiedene Perspektiven auf den Begriff „Gastarbeiter“: Transfer, Symbiose, Entfremdung und Körper.

Ein umfangreiches Begleitprogramm stellt mit Ausstellungsführungen von und für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen, von und für taube und hörbeeinträchtigte Menschen sowie in Leichter Sprache Barrierearmut in den Mittelpunkt.. Darüber hinaus werden Führungen auf Deutsch, Englisch und Bosnisch-Kroatisch-Montenegrinisch-Serbisch (BKMS), Performances sowie ein Workshop angeboten. Im Anschluss an die Ausstellung erscheint eine transdisziplinäre Publikation.

Künstler_innen: Kemil Bekteši, Jelena Fužinato, Alma Gačanin, Adrijana Gvozdenović, Nadežda Kirćanski, Siniša Labrović, Dejan Marković, Nikoleta Marković, Mila Panić, Amir Silajdžić, Bojan Stojčić und Jelena Vukmanović

nGbK-Arbeitsgruppe: Hannah Marquardt, Andrej Mirčev, Adna Muslija, Bojan Stojčić, Jelena Vukmanović

­Über die Arbeiten

Im Rahmen des mehrjährigen künstlerischen Projekts „Who is Adrian Lister“ konstruiert Adrijana Gvozdenović einen fiktiven Charakter mit fluider Identität und nutzt ihn als Werkzeug, um die eigene Position als Künstlerin, Arbeiterin und Einwanderin zu verstehen. Innerhalb der Ausstellung schafft sie mit ihrem Werk „Arbeitsraum/Ausstellung: Who is Adrian Lister?“ einen temporären Lebens- und Arbeitsraum. Auf diese Weise entsteht ein Ort der Begegnung und des Gedankenaustauschs. Performative Vorträge und informelle Diskussionen bilden den diskursiven Raum, in dem Adrian Lister existiert.

In ihrem Zyklus „The Good Life“ reflektiert Alma Gačanin ihre Arbeitserfahrung als ehemalige Flugbegleiterin und greift Momente nach der Schicht auf. Das Foto hält einen der ständig wechselnden Orte ihrer Arbeit fest und suggeriert ein Wechselspiel zwischen der Qualität freier Zeit und der Qualität von Arbeitsbedingungen. Gačanin spielt mit der Repräsentation des „guten Lebens“, die Tourismus und Freizeit als zusätzlichen Wert ihrer Arbeit als Flugbegleiterin verkauft. Eine Serie von Zeichnungen demonstriert die andere Seite der Medaille dieses „guten Lebens“: Gačanins Alter Ego „Djevina“ (Jungfrau) zeigt die realen Herausforderungen eines romantisierten Nomad_innendaseins.

Amir Silajdžić stellt in seinen Werken symbiotische Verbindungen zwischen Räumen günstiger Produktion und neoliberalen Märkten her. Diese sind nicht nur Gegenstand seiner künstlerischen Forschung, sondern auch die Rahmenbedingungen seiner täglichen Arbeit. Er stellt für andere Künstler_innen Auftragsarbeiten aus Glas her, die in Westeuropa ausgestellt werden. Silajdžić ist ein Zufallskünstler – ein Handwerker, der im technischen Spiel mit Materialien intuitiv eine spezifische künstlerische Sprache entwickelte, die an Pop-Art-Ästhetik erinnert. Für diese Ausstellung produzierte Silajdžić „Variationen von Fritz Cola“, eines in Bosnien nicht erhältlichen Produkts.

In der mehrkanaligen Videodokumentation „Die Deutsche Turnkunst“ von Bojan Stojčić performen knapp 100 Teilnehmende, größtenteils Migrant_innen, im Stadtraum einfache gymnastische Übungen, die von Friedrich Ludwig Jahn, dem „Vater der Turnkunst“ als Methode zur Stärkung des nationalistischen Bewusstseins der (ausschließlich männlich gedachten) Jugend entwickelt wurden. Die Übungen werden zu skulpturalen Formen von absurder Dimension im öffentlichen Raum. Mit ihren Körpern performen die Migrantinnen, von Jahn explizit nicht mitgemeint, den „Volkskörper“ der Nation, zu der sie gehören wollen.

Dejan Marković weist auf unmittelbare physische Folgen neokolonialer Ausbeutung hin. Durch unmenschliche Arbeitsbedingungen verursachte Erkrankungen von Arbeiter_innen, in diesem Fall die dauerhafte Schädigung der Handgelenke (das sogenannte „Aptiv-Syndrom“), sind der Ausgangspunkt seines gleichnamigen Werks. In Zusammenarbeit mit ehemaligen Arbeiterinnen in serbischen Fabriken der westeuropäischen Konzerne Aptiv, Yura und Leoni, die Elektrokabel für den westeuropäischen Markt produzieren, und Weberinnen der Organisation Atelje 61, stellte er mit traditionellen Handarbeitstechniken Teppiche aus Materialien der Tech-Industrie her.

Jelena Fužinatos Arbeit „Builder’s Daughter: Everything is Peachy“ basiert auf ihrer Familiengeschichte. Sie stellt eine Kommunikation zwischen der Position von Migrantinnen und der Institution Kunstverein her. Die Künstlerin beharrt auf den Praktiken der Partizipation und Vermittlung, indem sie mit Arbeiter_innen ein Baugerüst im Raum aufstellt und so den Eingang zum Ausstellungsraum versperrt. Damit initiiert sie eine Diskussion über die Zugänglichkeit des Machtsystems kulturelle Institution für die eingewanderte Arbeiter_innenklasse. Eine Zeichnung ihrer Heimatlandschaft, auf dem Gerüst platziert, widersetzt sich formal dessen Robustheit und bringt Nostalgie, Intimität und Zärtlichkeit in das Werk ein.

Jelena Vukmanović zeigt in ihrer Arbeit „Oktober 2020 – März 2024“ 100 leere Briefumschläge, in denen sie dreieinhalb Jahre lang Briefe verschiedener Institutionen und Ämter erhalten hat. So materialisiert Vukmanović die unsichtbare Arbeit hinter dem Migrationsprozess und macht sie als unvermeidliche Voraussetzung für die Existenz als (Arbeits-)Migrantin sichtbar. Sie macht auf die Instabilität des Rechtsstatus von Migrant_innen aufmerksam, die bürokratische Prozesse zur Erlangung von Visum und Arbeitserlaubnis bergen.

Kemil Bektešis künstlerisch-forschende Arbeit „Sofra Shqiptare“ basiert auf dem Transfer immaterieller Güter. Inspiriert durch jahrelange Recherchen zu den Migrationserfahrungen seiner eigenen Familie, untersucht Bekteši die verschiedenen Migrationsbewegungen von aus dem Kosovo und Albanien stammenden Arbeiter_innen in Berliner Bäckereien. Die Vernetzung und Solidarität dieser Arbeiterinnen wird durch Punkte und Linien in einer Wandzeichnung dargestellt. Ineinander verschlungene Sesamringe, die Bekteši in den kosovarischen Bäckereien Berlins erworben hat, ähneln einer Kette, die an die Migration von Familien über mehrere Generationen hinweg erinnert.

Mila Panićs Arbeit „Südost Paket“ versteht unter dem Wert materieller Dinge nicht nur einen finanziellen oder Marktwert, sondern auch einen emotionalen. Ihre Verbindung mit bestimmten Orten wird symbolisch durch Busreifen dargestellt, in denen Waren versteckt sind. Eine scherzhafte Anspielung auf den Schmuggel „heimischer“ Produkte deutet auf diese als Artefakte intimer Beziehungen mit Heimat und Alltagsleben im Herkunftsland hin. Mit einer Stand-Up-Performance bringt Mila Panić eine noch wenig anerkannte Kunstform in den Ausstellungsraum, in der sie von den Erfahrungen einer migrantischen Künstlerin in Berlin erzählt.

Nadežda Kirćanski rekontextualisiert ihre Auseinandersetzung mit zeitgenössischen, rein monetären Wertesystemen in der Serie “schöne bilder”. Mit dem Umzug nach Westeuropa ersetzt sie in ihren Zeichnungen Dinarscheine durch Euroscheine. In der Installation „und zu wann brauchst du das“ nutzt sie Tape, wie sie es in ihrer nicht-künstlerischen Arbeit an Filmsets verwendet hat und stellt damit den Gegensatz zwischen Kunst und Existenz dar.

In der Arbeit „Daily Struggles“ untersucht Nikoleta Marković die Positionen von migrantischen Arbeiter_innen in Form eines Comics. Darin stellt die Künstlerin einen Dialog zwischen ihrer eigenen Klassenposition und der Position der Bauarbeiter her, deren Renovierungsarbeiten sie in ihrem Berliner Innenhof täglich beobachtete. Durch die Form der Präsentation suggeriert sie die unsichtbare Allgegenwärtigkeit ideologischer Apparate und die Unmöglichkeit, sie gänzlich zu dekonstruieren: Obwohl der Comic und sein gesamter Inhalt sichtbar sind, ist er physisch abwesend und wird in Form einer Videoprojektion präsentiert.

Die Performance „Work on yourself“ von Siniša Labrović ironisiert das kapitalistische Imperativ der kontinuierlichen Arbeit an der physischen, intellektuellen und emotiven Bereitschaft des_der Arbeiter_in. In Übungen aus Pilates und Gymnastik stellt er zentrale Figuren aus der Kunstgeschichte nach. Gleichzeitig sind sie als zeitgenössische Übungen der physischen und psychischen Selbstoptimierung erkennbar. Labrović weist so auf die harte, körperliche Arbeit hin, die ein großer Teil der Migrant_innen aus dem ehemaligen Jugoslawien verrichtet.

Programm

Freitag, 12. April Eröffnung
19 Uhr Performance Builder’s Daughter: Everything is Peachy (Aufbau), von Jelena Fužinato
19:30 Uhr Eröffnungsreden (mit Simultanübersetzung in Deutsche Gebärdensprache)
20 Uhr Performance Work on yourself von Siniša Labrović
20:30 Uhr Antifa-Chor

Samstag, 27. April (Gallery Weekend)
12–13 Uhr Kuratorische Führung mit Bojan Stojčić auf Englisch
13–17 Uhr Gespräch mit Adrijana Gvozdenović, Arbeitsraum/Ausstellung: Who is Adrian Lister? 

Samstag, 4. Mai
13:30–15 Uhr Kuratorische Führung mit Jelena Vukmanović (auf Bosnisch/Kroatisch/Montenegrinisch/Serbisch)
15–18 Uhr Austausch und Workshop mit der ersten Gastarbeiter_innengeneration, Leitung Nikoleta Marković

Donnerstag, 16. Mai
16–17:30 Uhr Führung in Leichter Sprache und Kuratorische Führung mit Hannah Marquardt, David Permantier und Hildegard Wittur 

Samstag, 18. Mai
14–15 Uhr Führung für sehbehinderte und blinde Menschen mit Emmilou Rössling und Silja Korn
16–17:30 Uhr Kuratorische Führung mit Andrej Mirčev (auf Deutsch)

Freitag, 24. Mai
16:30–18 Uhr Führung in Deutscher Gebärdensprache mit Dana Cermane

Samstag, 25. Mai
12–13:30 Uhr Kuratorische Führung mit Andrej Mirčev (auf Deutsch)
14–18 Uhr  Gespräch mit Adrijana Gvozdenović, Arbeitsraum/Ausstellung: Who is Adrian Lister? 

Samstag, 8. Juni
16–17:30 Uhr Führung und Gespräch mit Jelena Fužinato (auf Deutsch)

Freitag, 14. Juni Finissage
19:30–20 Uhr Performance Builder’s Daughter: Everything is Peachy (Abbau), Jelena Fužinato
21 Uhr Stand-Up-Comedy von Mila Panić (auf Englisch)

Winter 2024: Vorstellung der Publikation

Alle Veranstaltungen finden in der nGbK am Alex statt.

Detaillierte und aktuelle Informationen zu allen Terminen auf hier.

Gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.

In Zusammenarbeit mit Ambasada gUG (Berlin) und der Galerie Manifesto (Sarajevo).

Pressekontakt:
Lutz Breitinger
neue Gesellschaft für bildende Kunst
Karl-Liebknecht-Straße 11/13, 10178 Berlin
Tel. 030-616 513 13
presse@ngbk.de
ngbk.de

Downloads

Gastarbeiter 2.0, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Ausstellungsansicht / installation view. Foto / Photo: Benjamin Renter (jpg, 4,76 MB)
Gastarbeiter 2.0, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Ausstellungsansicht / installation view. Foto / Photo: Benjamin Renter (jpg, 5,65 MB)
Gastarbeiter 2.0, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Ausstellungsansicht / installation view. Foto / Photo: Benjamin Renter (jpg, 2,86 MB)
Gastarbeiter 2.0, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Ausstellungsansicht / installation view. Foto / Photo: Benjamin Renter (jpg, 3,23 MB)
Gastarbeiter 2.0, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Ausstellungsansicht / installation view. Foto / Photo: Benjamin Renter (jpg, 2,5 MB)
Gastarbeiter 2.0, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Ausstellungsansicht / installation view. Foto / Photo: Benjamin Renter (jpg, 3,38 MB)
Gastarbeiter 2.0, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Ausstellungsansicht / installation view. Foto / Photo: Benjamin Renter (jpg, 2,48 MB)
Gastarbeiter 2.0, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Ausstellungsansicht / installation view. Foto / Photo: Benjamin Renter (jpg, 4,7 MB)
Gastarbeiter 2.0, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), Ausstellungsansicht / installation view. Foto / Photo: Benjamin Renter (jpg, 1,91 MB)
Nikoleta Marković, „Daily Struggles“, Courtesy the artist (jpg, 6,4 MB)
Alma Gačanin, „Safety and Hospitality“, Courtesy die Künstlerin / the artist (jpg, 6,09 MB)
Alma Gačanin, „Cockpit Crew“, Courtesy die Künstlerin / the artist (jpg, 6,84 MB)
Dejan Marković, „About the Nettle that Grows Again“, (c) Dejan Marković, 2023 (jpg, 6,55 MB)
Dejan Marković, „About the Nettle that Grows Again“, (c) Dejan Marković, 2023 (jpg, 7,96 MB)
Bojan Stojčić, „Die Deutsche Turnkunst“ (Detail), 2020, Courtesy the artist (jpg, 2,25 MB)