Über nukleare Vergangenheiten und strahlende Zukünfte: SALZ. TON. GRANIT. in der nGbK
SALZ. TON. GRANIT. Über nukleare Vergangenheiten und strahlende Zukünfte
30. November 2024 – 9. Februar 2025
Eröffnung: 29. November 2024, 18 Uhr
Pressevorbesichtigung: 29. November 2024, 11 Uhr
Anmeldung: presse@ngbk.de
Aktuelle geopolitische Konflikte und die mit ihnen verbundene Energiekrise werfen neue Fragen zum Umgang mit dem toxischen Erbe nuklearer Infrastrukturen und der Suche nach alternativen Energien auf. Das zweijährige künstlerisch-kuratorische Forschungsprojekt SALZ. TON. GRANIT. Über nukleare Vergangenheiten und strahlende Zukünfte untersucht, wie die Atomindustrie und ihre Infrastruktur unser Leben beeinflussen. Die Erzeugung von Kernenergie und die Lagerung radioaktiver Abfälle geraten dabei ebenso in den Blick wie die täglich von ihren materiellen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen betroffenen Orte und deren Bewohner_innen. Im Rahmen einer Ausstellung und eines Veranstaltungsprogramms stellen die teilnehmenden Künstler_innen und die Kurator_innen der nGbK-Arbeitsgruppe die Ergebnisse ihrer umfangreichen Recherchen vor, in denen sie sich aus translokaler Perspektive mit den vielfältigen Verbindungen von Energie, Politik, Ökologie und sozialen Bewegungen beschäftigt haben.
Der Titel SALZ. TON. GRANIT. spielt auf jene drei Materialien an, die für die Endlagerung von Atommüll derzeit als am sichersten angesehen werden. Das Projekt blickt auf Deutschland und Ungarn, zwei Länder, die im Umgang mit Atomkraft entgegengesetzte Wege beschreiten: Während Deutschland 2023 seinen Atomausstieg mit der Abschaltung aller Atomkraftwerke angestoßen hat, baut Ungarn ein neues Kernkraftwerk, den umstrittenen Reaktor PAKS II. Diesen Gegensätzen zum Trotz stehen beide Staaten vor demselben noch ungelösten Problem, der Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll, welches gemäß einer EU-Richtlinie innerhalb der eigenen Landesgrenzen gefunden werden muss. Dabei handelt es sich um ein globales Problem: Mit Ausnahme des finnischen Endlagers „Onkalo“, das 2025 in Betrieb genommen werden soll, existiert weltweit noch kein Endlager für das risikobehaftete Nebenprodukt der Energiegewinnung.
Die Ausstellung SALZ. TON. GRANIT. verbindet Berlin mit ländlichen Regionen in Deutschland und Ungarn, in denen sich nukleare Infrastrukturen wie Uranminen, Kernkraftwerke und Atommüll-Zwischenlager befinden oder die Schauplätze des Widerstandes gegen Atomkraft waren und sind. Gezeigt werden neun Neuproduktionen, die im Laufe des zweijährigen Forschungsprozesses entstanden sind. Viele der Arbeiten wurden in engem Austausch mit den Menschen vor Ort entwickelt, deren Perspektiven hier im Vordergrund stehen. Auf diese Weise wird sichtbar, wie die direkt mit den nuklearen Infrastrukturen Konfrontierten mit deren Folgen und den unsichtbaren Gefahren, die sie mit sich bringen, umgehen.
Begleitend zur Ausstellung fächern Führungen, Performances, Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen die gesamte Breite der künstlerisch-kuratorischen Forschung auf und erweitern die Kernthemen der Ausstellung um weitere Perspektiven.
Das im „Fonds Zero“ der Kulturstiftung des Bundes zur Erprobung nachhaltiger Produktionsformen geförderte Projekt SALZ. TON. GRANIT. war auch ein Experiment zur klimaneutralen Realisierung eines umfangreichen und translokalen künstlerischen Forschungsprojektes, das praktische wie konzeptuelle Fragen zu zukünftiger Energiegewinnung und -nutzung aufwirft. Dadurch konnte sich auch die nGbK deutlicher in Nachhaltigkeitsdiskursen positionieren und ihren Multiplikatoreffekt als Kunstinstitution nutzen.
Künstler_innen: Ana Alenso, András Cséfalvay, Krisztina Erdei mit Dániel Misota, Csilla Nagy & Rita Süveges, Sonya Schönberger, Marike Schreiber, Katarina Šević, Dominika Trapp, Anna Witt
Teilnehmende am Veranstaltungsprogramm: bankleer (Karin Kasböck und Christoph Leitner), Sophie Hilbert, Paul Kolling, Gabriela Šaturová u.a.
nGbK-Arbeitsgruppe: Katalin Erdődi, Marc Herbst, Julia Kurz, Virág Major-Kremer, Vincent Schier
Über die Arbeiten
Ana Alensos Arbeit beschäftigt sich mit ehemaligen Uranminen im Erzgebirge. Ausgehend von der Rolle dieser Minen und des sowjetisch-deutschen Bergbauunternehmens Wismut in der nuklearen Aufrüstung während des Kalten Krieges befasst sich die Künstlerin mit vergangenen geologischen Zusammenhängen und heutigen geopolitischen Landschaften. Sonya Schönberger untersucht den Zusammenhang zwischen Bergbau und der Lagerung radioaktiver Abfälle in der ehemaligen Salzmine von Morsleben, dem DDR-Endlager für schwach und mittelradioaktiven Abfall. Dabei verbinden sich die Eigenheiten von Salz mit der gesellschaftspolitischen Lage der Gemeinde an der früheren deutsch-deutschen Grenze.
Auf ein anderes Dorf blicken Krisztina Erdei und Dániel Misota: In der Gemeinde Bátaapáti im Südwesten Ungarns befindet sich seit 2011 ein Atommülllager. Gemeinsam mit Bewohner_innen Bátaapátis entwickelten die beiden Künstlerinnen einen Film, der in nachgestellten Szenen von historischen und persönlichen Momenten erzählt – das Alltagsleben der Menschen, ihre Schicksale und Hoffnungen treten den hehren Versprechen politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger_innen gegenüber. In den Tunneln des Depots von Bátaapáti spielt eine animierte Videooper in drei Akten von András Cséfalvay über Wissen, Wissenschaft, Macht und Fortschrittsglaube. Inspiriert von der Prometheussage und Percy Shelleys lyrischem Drama Der entfesselte Prometheus hinterfragen Cséfalvays mythologische Figuren den menschlichen Wunsch nach Naturbeherrschung und die Utopie unbegrenzter Verfügbarkeit von Energie mittels Kernfusion.
Im Rahmen von SALZ. TON. GRANIT. luden Csilla Nagy und Rita Süveges zu einem Artist-led Field Trip nach Boda ein, einem kleinen Dorf in Südungarn, dessen Tongesteinformation als mögliche Endlagerstätte für hochradioaktiven Müll untersucht wird. Beim Brennen von Keramik in einer Brenngrube – einer altertümlichen Technik des Tonbrennens – entstanden Formen und Objekte, die jenen Brennstäben nachempfunden sind, die in Boda gelagert werden sollen. Im Sinne des interdisziplinären Forschungsfeldes der Atomsemiotik fragen die Künstlerinnen, wie künftige Generationen über Standort und Gefahren von Atommüllendlagern informiert werden können. Auch Katarina Šević beschäftigt sich in ihrer künstlerischen und gestalterischen Forschung mit Atomsemiotik und den Grenzen von Sprache, Bedeutung und speziesübergreifender Kommunikation. Šević nimmt in doppelter Funktion an SALT. CLAY. ROCK. teil: Sie ist die Autorin der visuellen Identität des Projekts, ihre künstlerische Arbeit übersetzt in der Ausstellung die Komplexität von Gefühlen und Fakten rund um nukleare Themen in Objekte, Muster und performative Requisiten.
Dominika Trapp erforscht die Beziehung von Arbeiter_innen zum Kernkraftwerk im ungarischen Paks. Wie sehen sie das Kraftwerk und ihre eigene Rolle darin? Träumen sie davon? Trapps sensible malerische Arbeit hält intime Gespräche über die Assoziationen, Visionen und Ängste der Arbeiter_innen in Bezug auf das Kraftwerk und die Atomenergie fest. Für nukleare Infrastrukturen interessiert sich auch Marike Schreiber, insbesondere für die Verflechtung des ersten Kernkraftwerks der DDR in Rheinsberg – das als erstes in Deutschland vollständig rückgebaut wird – mit dem es umgebenden Naturschutzgebiet Stechlin. Der gleichnamige See, den Theodor Fontane in einem Roman beschreibt, spielte eine wichtige Rolle bei der Kühlung des Kraftwerks. Die hohe Wasserqualität und Artenvielfalt des Sees werden seit dem späten 19. Jahrhundert untersucht.
Anna Witt arbeitet im Wendland, wo die Gemeinde Gorleben zum Symbol für die Anti-Atomkraft-Bewegung wurde. In ihrer performativen, videobasierten Arbeit untersucht Witt, wie sich verschiedene Formen des Protests über Generationen hinweg in die Körper und Biografien von Aktivist_innen eingeschrieben haben, welche Bedeutung Solidarität für die Anti-Atomkraft-Bewegung hatte und wie diese die (west-)deutsche Linke geprägt hat.
nGbK am Alex
Karl-Liebknecht-Straße 11/13, 10178 Berlin, 1. Etage (Zugang über Rolltreppe)
Öffnungszeiten: Di–So 12–18, Fr 12–20 Uhr
Eintritt frei
Der Besuch mit Rollstuhl und Kinderwagen ist barrierefrei möglich.
Weitere Informationen zum Besuch auf ngbk.de
Gefördert im Programm Zero – Klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte der Kulturstiftung des Bundes. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) wird gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt.