Beatrice E. Stammer und Anna Voswinckel

„Es ging um eine Gemeinschaft ähnlich Gesinnter, um Professionalisierung, um Austausch“

27.10.21 Typ: Mitgliederinterview

Gespräch zwischen Beatrice E. Stammer und Anna Voswinckel am 27. Oktober 2021 innerhalb der Ausstellung … oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende.

Transkription: Anna-Lena Wenzel

 

Anna Voswinckel: Beatrice, du bist freie Kuratorin, Künstlerin und Autorin und warst von 1979 bis 1993 Mitglied der nGbK. Du hast in der nGbK sehr viele Ausstellungen kuratiert, unter anderen Unbeachtete Produktionsformen (1982), Zwischenspiele mit 43 jungen Künstler_innen aus der DDR (1989) und eine Einzelausstellung von Via Lewandowsky (1990), einem DDR-Künstler, den ihr sehr früh gezeigt habt. 1991 fand Außerhalb von Mittendrin statt, wozu ein Katalog entstanden ist, der auch in diese Ausstellung eingeflossen ist. Zusammen mit Bettina Knaup hast du zudem über mehrere Jahre das Performanceprojekt re-act feminism#1/#2 – a performing archive kuratiert und im Künstlerhaus Bethanien 2009 mit Angelika Richter die Ausstellung und jetzt – Künstlerinnen aus der DDR organisiert. Angelika Richter wiederum hat in der nGbK vor einigen Jahren die Ausstellung Left Performance Histories verantwortet, wo es um Performancepraktiken in der DDR und Osteuropa ging. Wir fangen am besten mit der nGbK an. Wie bist du zur nGbK gekommen? Was war deine Motivation, hier zu arbeiten?

Beatrice E. Stammer: Ich möchte vorher noch etwas zu meiner Biografie sagen. Ich bin in den 1950er-Jahren aufgewachsen, bin also eine echte West-Berlinerin. Ich war aktiv in der Frauenbewegung, aus der heraus wir 1973 das erste Frauenzentrum in Deutschland gegründet haben. Es gab damals weder das Internet noch Reisen, wenn jemand von uns nach Amerika geflogen ist, war das exorbitant. Dennoch haben wir vieles, was vom Feminismus aus den USA gekommen ist, bei uns praktiziert, unter anderem die Consciousness-Raising Groups, diese Selbsterfahrungsgruppen, und haben Selbstuntersuchungen durchgeführt. Es gab sehr viele Arbeitsgruppen, zum Beispiel eine Rote-Hilfe-Gruppe, die Frauen unterstützt hat, die im Knast waren. Ich war relativ militant bei allem und habe illegale Fahrten nach Holland organisiert. Wir haben bei Vergewaltigern an die Türen gesprüht oder sind bei sexistischen Filmen mit Buttersäure rein. So bin ich über eine anarchistische Frauenbewegung in die Kunst gekommen. Das war relativ spontan. Ich hatte zwei oder drei Jahre als Lehrerin an einer Gesamtschule gearbeitet und bin, weil ich das so gruselig fand, 1980 aus dem Schuldienst rausgegangen. Mich hat dann Jula Dech angesprochen, die damals in der nGbK war und die erste Ausstellung mit mexikanischen Künstlerinnen realisiert hat, die sehr erfolgreich war. Wir wollten etwas zu unbeachteten Produktionsformen von Frauen machen, also zu Care-Arbeit, zu Küchen, die nicht für Frauen konzipiert sind, Frauenökonomie etc. Wir haben sehr lange versucht, dieses Projekt durchzudrücken in der Mitgliederversammlung, wie, glaube ich, alle Frauenprojekte damals. Es war dann so, dass viele Frauen kurzfristig eingetreten sind und für das Projekt gestimmt haben, sonst hätten wir es nicht durchbekommen. Das war 1977 bei Künstlerinnen International, dem ersten wirklich großartigen Frauenprojekt mit sehr bekannten Künstlerinnen, ähnlich. Das war eine der wichtigsten feministischen Ausstellungen, die die nGbK gemacht hat, aber sie musste zwei oder drei Jahre Vorlauf in Anspruch nehmen, um die Stimmen der Hauptversammlung zu bekommen!

AV: Kannst du etwas mehr über die Hintergründe der Ausstellung Unbeachtete Produktionsformen erzählen?

BS: Wir wollten diese Ausstellung machen, um einen anderen Aspekt von Frauenarbeit zu beleuchten, denn Care-Arbeit war damals überhaupt nicht im Fokus, obwohl es in der Frauenbewegung Lohn-für-Hausarbeit-Gruppen gab, wo die Thematik angesprochen worden ist. Dieses Projekt fand im alten Künstlerhaus Bethanien statt, im Kirchenschiff. Es gab ein großes Rahmenprogramm mit Performances und Theater. Wir haben mit der Berliner Frauengruppe Schwarze Schokolade zusammengearbeitet, die den Berliner Frauensommer ins Leben gerufen hat, dazu gehörte eine große „Nebelwanderung“ mit Schwertern und Tüchern. Also, es war schon Feminismus pur in der Zeit.

AV: Das ist interessant, weil zum Thema Sorgearbeit in der nGbK in den Folgejahren zahlreiche Ausstellungen und Projekte realisiert wurden, aktuell Networks of Care. Im PiS-regierten Nachbarland Polen müssen Frauen wieder für Abtreibungsrechte kämpfen. Feministische Forderungen werden kontinuierlich sichtbar gemacht.

Wir wollen heute vor allem über die Verbindungen von Ost- und Westdeutschland sprechen, über das Zusammentreffen der Frauen, die Gemeinsamkeiten und unterschiedlichen Voraussetzungen und Kämpfe gegen das Patriarchat. Wie bist du zum Osten gekommen, Beatrice?

BS: Ich habe gemeinsam mit der damaligen Geschäftsführerin Christiane Zieseke 1987 vom evangelischen Kirchendienst eine Einladung erhalten, die nGbK in Ost-Berlin vorzustellen. Ich war Teil des RealismusStudios mit Frank Wagner, wir haben gerade die Ausstellung endart. Aus der Produktion 1980–86 gemacht und dachten, das wäre ein schöner Anlass, um die Kunstszene in Ost-Berlin besser kennenzulernen. Bei einem der Treffen gab es einen Vortrag von Christoph Tannert, der mich schier umgehauen hat, weil ich gar nichts von DDR-Kunst, oder genauer: von der Underground-Szene, wusste. Ich habe zu der Zeit in der Staatlichen Kunsthalle gearbeitet, und weil unser Direktor relativ DDR-freundlich war, haben wir „Staatskünstler“ wie Willi Sitte oder Volker Stelzmann – auch wenn der in dem Sinne kein Staatskünstler war – ausgestellt. Der Vortrag von Christoph Tannert behandelte den DDR-Underground und dessen vielfältige Facetten – von Rockmusik, Punk, Literatur bis zu Modeschauen und Ausstellungen. Christoph war es auch, der mir, nachdem wir entschieden hatten, das Projekt zu machen, Tipps gegeben hat, wo ich hinfahren sollte. Unter anderem hat er mir geraten, die Künstlerinnengruppe Erfurt zu besuchen – so habe ich 1987 Gabriele Stötzer kennengelernt. Gabi durfte leider bei Zwischenspiele nicht ausstellen, weil sie nicht im Verband Bildender Künstler der DDR (VBK) war. Aber ich habe ihre Arbeiten in Form von Abbildungen mit in den Katalog reingenommen.

AV: Wie war die Zusammenarbeit mit den DDR-Institutionen?

BS: Die Ausstellung ist auf unsere Anfrage beim VBK der DDR zustande gekommen. Es gab zwei Arbeitsgruppen: die der nGbK und die des VBK. Wir haben uns immer in Ost-Berlin getroffen. Ich habe die Ausstellung mit Christiane Zieseke gemacht. Wir haben bis auf einige Unstimmigkeiten relativ viel durchsetzen können. Das war 1988 und 1989, da konnten sich die DDR-Behörden nicht mehr so völlig rückwärtsgewandt verhalten. Die mussten auf den Westen zugehen. Es gab unter anderem das deutsch-deutsche Kulturabkommen, wo der Westen seine Wünsche äußern konnte, dem oft nach einigen Verhandlungsrunden stattgegeben wurde. Die West-Institutionen haben schon darauf geachtet, dass sie bestimmte Dinge durchsetzen konnten. Aber es war klar, dass bei den Treffen einer dabeisitzen würde, der die Ohren spitzt, und so war es auch.

Trotz der Kompromisse gab es einige Künstler_innen, die zur Eröffnung am 20. Oktober 1989 nicht ausreisen durften, wie zum Beispiel die Auto-Perforations-Artisten. Die West-Berliner Fraktion war deswegen stinksauer! Wir haben da vergeblich rauf und runter verhandelt, und als zwei Wochen später die Mauer aufging, haben die Auto-Perforations-Artisten ihre erste Performance im Westen machen können. Das war eine wahnsinnige Genugtuung.

AV: Aber es gab Kontroversen um deinen Text?

BS: Ja, der Text „Sie macht Ihr’s“, den ich aus feministischer Perspektive für den Katalog geschrieben habe, wurde von den DDR-Behörden zensiert. Daraufhin hat sich der damalige Berliner Kultursenator Ulrich Roloff-Momin dafür eingesetzt, dass er doch abgedruckt werden durfte. Weil es im Sommer 1989 in der DDR schon relativ kippelig war, wurden relativ viele Zugeständnisse gemacht.

AV: Wie war es sonst mit deinem feministischen Anspruch?

BS: Das waren schon klassisch männlich geprägte Diskussionen um die Qualität der Arbeiten von Künstlerinnen, da habe ich um jede Position gerungen. Unter den 43 Beteiligten waren immerhin elf Künstlerinnen. Es hätte anders ausgesehen, wenn ich da nicht gegengehalten hätte. Ich war ganz stolz, dass ich das Wort „Künstlerinnen“ auf dem Cover des Katalogs durchsetzen konnte.

AV: Zwei Jahre später habt ihr die Ausstellung Außerhalb von Mittendrin realisiert.

BS: Ja, es war ein sehr großes Projekt mit 200 DDR-Künstlerinnen im Rahmen des deutsch-deutschen Kulturabkommens, da liefen die Planungen ja schon seit 1988. Die Ausstellung war in einer relativ unbekannten Ausstellungshalle im Neuen Kunstquartier im TIB im Wedding, die es heute nicht mehr gibt. Zusätzlich hatten wir ein Veranstaltungszelt aufgebaut, in dem Theater, Musik und Lesungen stattfanden, und zeigten ein Filmprogramm im Arsenal-Kino. Es sollte ein reines DDR-Frauen-Projekt werden. Dann kam der Mauerfall, und ich habe mich relativ kurzfristig entschieden, bekannte Feministinnen wie Valie Export und Rosemarie Trockel, Renate Bertlmann und Ingeborg Strobl auch mit einzuladen. Ich habe also eine Ausstellung gemacht mit DDR- und westdeutschen und österreichischen feministischen Künstlerinnen. Das wurde sehr kontrovers diskutiert. Warum ich nicht nur DDR-Künstlerinnen ausgestellt hätte, wurde ich gefragt, aber ich wollte die Künstlerinnen aus dem „DDR-Reservat“ herausholen und ihnen den Rücken stärken – ich glaube, dass es für ihre Biografien ganz gut war.

AV: Es ging darum, feministische Kunst in den Vordergrund zu stellen, statt die DDR-Künstlerinnen zu essenzialisieren?

BS: Genau.

AV: Wie war die Zusammenarbeit innerhalb der Arbeitsgruppen?

BS: Wir haben uns, wie alle Gruppen, zerstritten (lacht). Das Plus an der nGbK ist: Obwohl wir ja alle kaum Geld damit verdienen, weil das Realisieren der Projekte mehr oder weniger ehrenamtlich ist, finde ich wirklich gut, dass man sich dort professionalisiert. Du lernst, dich zu vernetzen, und wirst getragen von einer basisdemokratischen Institution, in der du Dinge machen kannst, bei denen du einen Rückhalt hast. Ich habe oft Ausstellungen organisiert, die über gewisse Grenzen gingen, aber die nGbK hat gesagt: Wir stehen hinter dir, zieh es durch. Das, muss ich sagen, ist für mich die nGbK. Ich habe mich natürlich jedes Mal wieder geärgert, dass das Honorar bei einem Projekt, mit dem ich zweieinhalb Jahre beschäftigt war, nur bei 3000 DM lag, aber darum ging es nicht. Es ging um eine Gemeinschaft ähnlich Gesinnter, um Professionalisierung, um Austausch, dass man über eine Institution nach außen gehen konnte und mit Projekten sichtbar wurde, die nicht Mainstream waren. Das war für mich unheimlich wichtig, und dafür bin ich dankbar.

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