Christiane Zieseke

„Man lernte viele politische Mechanismen, die mir später sehr geholfen haben“

12.11.21 Typ: Mitgliederinterview

Gespräch mit Christiane Zieseke am 12. November 2021 im Café Sibylle

 

Anna-Lena Wenzel: Ich habe im nGbK-Archiv gesehen, dass sich die erste Ausstellung, bei der du beteiligt warst, den italienischen Realisten gewidmet hat, das war 1974. Ist das der Zeitpunkt gewesen, an dem du in die nGbK eingetreten bist?

Christiane Zieseke: Nein. Die nGbK ist ja als politischer Kunstverein gegen den Neuen Berliner Kunstverein gegründet worden – oder besser gesagt, es war eine Spaltung. Aber auch innerhalb des Vereins kam es relativ schnell zu Kontroversen zwischen Stamokap und Maoist_innen, KBW und was es alles gab. Über die nGbK wusste ich Bescheid, aber die Auseinandersetzungen habe ich damals nicht so richtig durchblickt, ich war auch neu in der Stadt. Ich wurde in der TU auf dem Flur angesprochen und wegen der Abstimmungsschwierigkeiten angeworben. Das war so zwischen 1972 und 1973. Ich bin dann in die nGbK eingetreten. Man konnte sofort Mitglied werden und abstimmen. Das war durchaus problematisch, weil dadurch die Mehrheiten häufig ohne inhaltliche Diskussion wechselten. Aber man lernte viele politische Mechanismen, die mir später sehr geholfen haben, beispielsweise welche Rechtsformen welche Schwierigkeiten bergen. Dieser Verein war wirklich gewöhnungsbedürftig mit seinen inneren Debatten, die sich oft über Jahre hingezogen haben. Ich fand es schwer, damit umzugehen, und ich glaube, andere fanden das zunehmend auch.

Das Tolle aber war, dass die nGbK einen sehr guten Einstieg in den Kunstbetrieb geboten hat, den man sonst nicht so einfach bekam. Die nGbK eröffnete mir ein völlig neues Universum. Das fing bei ganz simplen Dingen an: Ich habe Kunstgeschichte studiert, aber in meinem ganzen Kunstgeschichtsstudium nicht ein einziges Bild angefasst, ich hatte keine Ahnung, wie das geht. Das konnte man in der nGbK lernen, weil man die Ausstellungen selbst gemacht hat. Man konnte sich hier ausprobieren. Durch die Kontakte, die man in den Kunstbetrieb bekam, konnte man da reinrutschen, und es gibt mehrere Leute, die später in wichtige Funktionen im Kunstbetrieb gekommen sind. Jedenfalls sind viele interessante Projekte entstanden mit Themen, die es damals überhaupt nicht gab, es waren völlig neue Felder und Informationen. Was heute Mainstream ist, hat oft in der nGbK seinen Anfang genommen. Die Offenheit für neue Inhalte war bemerkenswert. Die nGbK hatte teilweise ein hohes Ansehen, weil sie Themen aufgriff, die von den Institutionen nicht bearbeitet werden konnten, aus politischen Gründen oder weil das Wissen darüber fehlte. Die Ausstellungen zu den 1920er-Jahren zum Beispiel hatte in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz niemand auf dem Schirm.

ALW: Da fällt mir die Ausstellung Kampf um Sichtbarkeit in der Alten Nationalgalerie von vor ein paar Jahren ein. In der nGbK hatte sich schon 1986 eine Ausstellung mit dem Titel Das Verborgene Museum genau demselben Thema gewidmet und umfangreiche Recherchen zu Künstlerinnen in den Sammlungen vorgenommen.

CZ: Ja, auch das Thema Kolonialismus wurde schon früh verhandelt. Das müsste man mal bekannt machen. Viele glauben ja, man hätte sich damit noch nicht beschäftigt, aber das stimmt nicht. Es stimmt allerdings, dass sich bestimmte Leute nicht damit beschäftigt haben oder nicht wollten, dass man sich damit beschäftigt. Dasselbe betrifft auch die Nazi-Kontinuitäten. Ich habe vor Kurzem im Deutschen Historischen Museum die Ausstellung zur documenta besucht, die vermeintlich aufdeckt, dass Werner Haftmann[1] ein Nazi war. Ich war kein halbes Jahr in Berlin, da wusste ich das bereits. Ich wurde aber davor gewarnt, das öffentlich auszusprechen.

Ich muss wirklich sagen: Ich bin der nGbK insgesamt zu großem Dank verpflichtet! Allein schon, weil man über die nGbK eine Art Verdienstbescheinigung bekommen konnte, mit der man Vermieter_innen davon überzeugen konnte, ein Einkommen zu haben. Die Wohnungsnot in West-Berlin war ja schon in den 1970er-Jahren gigantisch. Da galt zwar Mietpreisbindung und die Wohnungen waren billig, aber ohne Bescheinigung hatte man keine Chance. Mit dem Schreiben der nGbK habe ich mehrere Wohnungen bekommen.

ALW: Du hast erwähnt, dass du in der nGbK Dinge gelernt hast, die man im Kulturbetrieb gut gebrauchen konnte. Was war das genau?

CZ: Wenn man im Kulturbereich arbeitet, ist man häufig sehr nah an der Politik, da muss man verstehen, was man wie kommuniziert und wie die Denke ist. So etwas konnte man in der nGbK ziemlich gut lernen, weil die Auseinandersetzungen so direkt waren. Die einzelnen Gruppen haben sich nur für sich selbst interessiert. Das ist ein Strukturproblem: Wer reinkommt, hat ein ganz bestimmtes Anliegen und will das da verwirklichen – egal wie. Und die Geschäftsstelle (GS) war damit beschäftigt, den Laden zusammenzuhalten, deswegen gab es die direkt gewählten Mitglieder im Koordinationsausschuss (KOA). Das Präsidium wurde nur bemüht, wenn es ganz existenzielle Konflikte gab oder wenn finanziell die Hütte brannte. Das Präsidium hatte eine Schutzfunktion. Das waren mehrheitlich bekannte Leute, deren Funktion es im Wesentlichen war, die nGbK politisch zu schützen.

ALW: Auch heute hat das Präsidium vor allem die Rolle der Vertretung der nGbK in der Politik.

CZ: Ja, das war immer so. Man brauchte Menschen, die ein bisschen besser im Auftreten waren und leichter mal etwas durchsetzen konnten.

ALW: Wenn du von Auseinandersetzungen sprichst – meinst du damit die Hauptversammlungen?

CZ: Ja, die waren teilweise furchtbar. Diese Auseinandersetzungen, bei denen es leider nicht um die Inhalte der Projekte ging, haben den ganzen Betrieb blockiert. Die Hauptversammlungen dauerten ewig lange.

ALW: Du bist 1987 Geschäftsführerin geworden, das heißt du hast die letzte Ausstellung, bei der du mitgemacht hast, das war 1990 zu Renate Herter, schon in deiner Funktion als Geschäftsführerin begleitet?

CZ: Ja, ich habe als Geschäftsführerin noch an Ausstellungsprojekten mitgearbeitet. Aber ich bin nirgendwo aufgetaucht. Das verträgt sich auch nicht. Bei den DDR-Projekten wie Zwischenspiele 1989 ging es gar nicht anders. Das wäre niemals gelaufen! Da brauchte es eine Person, die rechtsverbindlich unterschreiben konnte. Das waren ja offizielle Kontakte. Du hättest die Projekte sonst nicht machen können, die wollten nicht mit irgendeinem Arbeitsgruppenmitglied reden. Aber gerade diese Osteuropa- oder DDR-Projekte waren sehr spannend. Es gab zu der Zeit eine ständige Auseinandersetzung zwischen Ost und West darüber, ob West-Berlin Bestandteil der Bundesrepublik war oder nicht, und wie man dieses Gebilde bezeichnen darf. Die staatlichen Institutionen hatten deshalb große Probleme und durften nicht viel machen. Wir waren ein bisschen flexibler und konnten einiges bewegen.

ALW: Für mich ist es neu, dass Geschäftsführer_innen auch Projekte realisiert haben.

CZ: Das war auch vor meiner Zeit bei Projekten mit sozialistischen Ländern wie der DDR, Lettland oder der Sowjetunion so. Ich hätte das sonst auch nicht gemacht, weil ich meine, man sollte sich da raushalten, obwohl das manchmal schwer ist. Deshalb hätte ich den Job auch nicht allzu lange machen können. Irgendwann hat man den Eindruck, dass man den Arbeitsgruppen mal erzählen müsste, was gerade falsch läuft. Das ist blöd, die müssen ihre Erfahrungen selbst machen und ihre Ideen ausprobieren und brauchen niemanden, der ihnen sagt, wie es geht. Wenn man aber gar nicht inhaltlich arbeiten kann, kann man das eigentlich nicht ertragen.

ALW: Du warst dann bis 1991 Geschäftsführerin? Was kam dann?

CZ: Ulrich Roloff-Momin, der Präsident der UdK und der nGbK war, wurde zum Kultursenator gewählt. Als in der Kulturverwaltung die Stelle der Planungsreferentin frei wurde, hat er mich gefragt, ob ich das machen möchte. Das war interessant, weil man in dem Bereich sehr viel gestalten konnte.

ALW: Ich kann mir darunter erst mal nicht so viel vorstellen …

CZ: Niemand konnte sich darunter etwas vorstellen, das war das Interessante an dem Job.

ALW: Bist du noch Mitglied in der nGbK?

CZ: Ja, das ist der einzige Verein, in dem ich geblieben bin. Aus allen anderen Vereinen bin ich ausgetreten, als ich in die Kulturverwaltung gegangen bin, weil es schnell Interessenkonflikte geben kann.

ALW: Beatrice E. Stammer hat von den Problemen gesprochen, die die feministischen Projekte hatten. Wie hast du das Verhältnis von Frauen und Männern in der nGbK wahrgenommen?

CZ: Och, es gab eben verschiedenste Gruppen. Die Feministinnen, die zu denen mit den politischen Interessen gehörten, hatten wirklich Probleme bei den anderen, weil gesagt wurde, das sei doch nur ein gesellschaftlicher Nebenwiderspruch und was das denn jetzt solle. Aber man konnte sich als Frau schon durchsetzen. Sagen wir mal so: Es war nicht so schlimm wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Ich war eine Zeit lang Kunst-am-Bau-Beauftragte für den bbk und hatte da in der Bauverwaltung zu tun, das war wirklich hammerhart. So etwas habe ich später nicht mehr erlebt. Natürlich waren in der nGbK auch Machos, die meinten, sie hätten hier das Sagen und die Frauen sollten die Arbeit machen. Das war so eine Erwartungshaltung. Aber Feminismus war nicht mein Schwerpunkt, ich habe mich für ganz unterschiedliche Dinge interessiert und viel zu Faschismus gearbeitet. Das waren immer gemischte Arbeitsgruppen. Ich glaube, es war für Männer auch nicht das Attraktivste von allem – wenn man Kustos in der Nationalgalerie werden kann, geht man nicht in die Arbeitsgruppe der nGbK. Deshalb war der Frauenanteil schon ziemlich groß.

ALW: Der Frauenanteil im schlecht bezahlten Kulturbereich ist weiterhin sehr hoch!

CZ: Meiner Meinung nach läuft das schon lange schief. Um Diversität zu fördern, muss man bei den Spitzen der Kulturinstitutionen anfangen, indem man zum Beispiel alle Leitungspositionen mit Frauen oder anderen marginalisierten Gruppen besetzt. Man muss bei den Opernhäusern anfangen! Wenn man eine Initiative von unten ist, hat man keine Chance. Es ist falsch, die Forderung nach Diversität nur an die Künstler_innenförderung zu koppeln, denn der freie Bereich ist immer derjenige, der am weitesten entwickelt ist.

ALW: Die nGbK ist durch die wechselnden Arbeitsgruppen ja eine sehr dynamische Institution, wie hast du das empfunden?

CZ: Es war ja beides in der nGbK vertreten: Es gab Konstanten, also Leute, die über viele Jahre dort gearbeitet haben – zum Teil auch, weil sie keine festen Jobs bekommen haben. Und es gab diejenigen, die neu dazukamen. Ich finde diese Mischung eigentlich ziemlich gut. Wenn man ein paar Leute hat, auf die man sich verlassen oder die man mal bitten kann, bei etwas zu helfen, ist das gut.

Anderen Leuten in der GS sind schon mal manche Arbeitsgruppen auf den Geist gegangen mit ihrer unglaublichen Anspruchshaltung. Sie wollten immer Full Service haben, aber standen dann zwei Tage vor Eröffnung nahe dem Nervenzusammenbruch ratlos herum und sagten, sie könnten jetzt nicht mehr (lacht). Ich fand des eher menschlich und habe ihnen gut zugeredet.

ALW: Du hattest da ja auch viel mehr Erfahrung.

CZ: Ja, deshalb war ich da relativ entspannt. In der Geschäftsführung siehst du rechtzeitig, wenn ein Projekt anfängt zu schleudern, dann kannst du versuchen, einen doppelten Boden einzuziehen oder irgendwas anderes zu machen.

ALW: Du hast vorhin von Auseinandersetzungen gesprochen, waren das vor allem inhaltliche Diskussionen?

CZ: Ehrlich gesagt waren die Auseinandersetzungen meist Scheinkonflikte, in Wirklichkeit ging es um Geld oder Konkurrenz und nicht um die Inhalte der Projekte, die wurden eher im KOA diskutiert. Dieser Mangel an inhaltlicher Diskussion war ständig in der Kritik, es änderte sich aber nichts, genauso wie das fünfköpfige Arbeitsgruppenprinzip immer wieder infrage gestellt, aber nicht modifiziert wurde. Es hatte einfach niemand eine andere funktionstüchtige Idee. Letztlich sind wir in den Strukturdiskussionen, die es immer wieder gab, dazu gekommen, dass man alles so aufrechterhält, wie es sich die Initiator_innen ausgedacht haben. In der Rückschau denke ich, dass es richtig war, bei dem Arbeitsgruppenmodell zu bleiben. Es ist zwar ein merkwürdiges Modell, das schlecht funktioniert, aber es ist dennoch innovativ. Es ist über so viele Jahre immerhin durchlässig gewesen. Es macht Veränderungen mit; Leute können Projekte realisieren, die sie sich ausgedacht haben und die sonst nirgendwo umsetzbar wären. Das ist ein großer Schatz, das muss man bewahren.

ALW: Die nGbK ist mit ihrer basisdemokratischen Struktur ja ziemlich solitär in Berlin. Ist sie auch so wahrgenommen worden?

CZ: Nein, eigentlich nicht. In der Kulturverwaltung wusste man nicht viel über die nGbK, da sie über Lotto-Mittel finanziert wurde. Das Einzige, was die Kulturverwaltung mit der Institution zu tun hatte: Sie musste Gutachten schreiben. Das wird sich ja jetzt ändern, wenn die nGbK in den Landeshaushalt überführt wird. Damals hat sich noch niemand für die Struktur von Kulturinstitutionen interessiert. In der Außenwahrnehmung war die nGbK sehr durcheinander (lacht). Was die Zuständigen bei Lotto eher bewegt hat war die Frage, ob die nGbK mit Geld umgehen könne und ob das sicher sei. Tatsächlich gab es einmal bei der 750-Jahr-Feier Berlins ein großes Finanzdefizit, da war die nGbK aber nicht alleine, keine Ahnung, wer das am Ende bezahlt hat.

Es ist wichtig, die Arbeitsweise der nGbK zu erklären. Das ist für viele oft nicht verständlich und von außen wohl nicht so richtig wahrnehmbar. Ich habe die Arbeitsstrukturen den Leuten, mit denen ich zu tun hatte, immer erklären müssen. Viele waren auch entsetzt über so viel Basisdemokratie (lacht). Es wird oft nicht erkannt, wie viel Arbeit da drinsteckt. Von außen sieht es aus wie ein Hühnerhaufen, es wird unterschätzt, wie professionell gearbeitet wird. Man muss schon sehr selbstbewusst auftreten und das vertreten.

Allgemein wird gerade diskutiert, wie wir in den Kulturinstitutionen von dem Intendanten-Modell wegkommen. Die nGbK verfügt diesbezüglich über eine der längsten Erfahrungen. Es ist gut zu wissen, wo die Fallstricke sind und wo es gut funktioniert. Wenn die Institution sehr viel größer wäre, ginge es nicht.

ALW: Kannst du etwas über die Staatliche Kunsthalle Berlin erzählen, mit der es viele Kooperationen und personelle Überscheidungen gab?

CZ: Das hing mit Dieter Ruckhaberle zusammen. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der nGbK und wurde dann Leiter der Staatlichen Kunsthalle. Weil die Kunsthalle ziemlich groß war, hatte er relativ viel Platz, aber der Etat war zu niedrig, das Haus war nicht in der Lage mehrmals im Jahr große Ausstellungen zu machen, dafür hatten die nGbK und der nbk das Recht, dort einmal im Jahr eine Ausstellung durchzuführen. Das war bei der Errichtung der Kunsthalle so verankert worden, um eine Dominanz der Kunsthalle über andere Kunstinstitutionen zu vermeiden. Der Vorteil der staatlichen Institution lag darin, dass sie wertvolle Leihgaben bekommen hat, die Kunstvereine ohne geeignete Ausstellungsräume nicht bekommen hätten. Diese Faktoren haben zu häufigen Kooperationen geführt. Ich selbst habe dort mal ein Volontariat gemacht, das muss 1978/79 gewesen sein.

ALW: Wo war die Kunsthalle noch mal?

CZ: Im Bikinihaus in der Nähe vom Bahnhof Zoo.

ALW: Warum wurde sie geschlossen?

CZ: Weil nach der Wende in Berlin Kulturinstitutionen geschlossen werden mussten. Die Situation der Kulturpolitik damals war mehr als elend, was daran lag, dass der Haushalt von West-Berlin zu fünfzig Prozent vom Bund getragen wurde. Nach der Wende hat sich der Bund gesagt, jetzt ist Berlin wieder eine normale Stadt – damit war die Pleite angesagt. Es war absolut verheerend, denn gleichzeitig kamen diese riesigen Kulturinstitutionen aus Ost-Berlin, die teilweise in einem baulich grauenvollen Zustand waren. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat der Senat beschlossen, Kulturinstitutionen dichtzumachen. Ich war damals dem Stab in der Kulturverwaltung zugeordnet und wir hatten eine Diskussion darüber, dass man in Ost-Berlin keine Institutionen schließen darf. Wenn welche geschlossen werden, dann müssten es West-Berliner Institutionen sein, die nicht so richtig funktionierten. Zur Disposition standen das Schiller Theater und auch die Kunsthalle, weil es nicht alleine den Theaterbetrieb betreffen sollte. Das gab große Diskussionen.

ALW: Das war alles unter Roloff-Momin?

CZ: Ja, der musste das verantworten. Das hat ihn schier zerrissen, das war eine schreckliche Situation.

ALW: Warum wollte man keine DDR-Institutionen schließen?

CZ: Weil es in allen gesellschaftlichen Feldern so war, dass die Leistungen der Bürger_innen der ehemaligen DDR überhaupt nicht wahrgenommen, gering geschätzt wurden. Reihenweise wurden Institutionen ohne seriöse Prüfung abgewickelt. Wir haben das hautnah mitbekommen, weil wir ja auch lange DDR-Kontakte hatten, und haben gesagt: Das machen wir nicht mit!

ALW: Das ist interessant, weil die nGbK-Ausstellung … oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende ja genau dieses Phänomen in den Blick nimmt.

CZ: Mit ganz wenigen Ausnahmen sind die Leute, die Leitungsfunktionen hatten oder Professor_innen an einer Hochschule waren, im Abseits gelandet. Was sich da teilweise abgespielt hat, war katastrophal und ist meiner Meinung nach auch der Grund, weshalb es heute noch diese Spannungen gibt und so wenig Leute aus dem Osten in Führungspositionen sind.

ALW: War es sehr ungewöhnlich, dass ihr für die Ausstellung Zwischenspiele über die Grenze fahren konntet und einen Einblick bekommen habt?

CZ: Was die Tiefe angeht, ja. Verbindungen zum Künstlerverband der DDR, zum VBK, konnte man relativ leicht aufbauen, aber außer dem offiziellen Kulturbetrieb lernte man da nichts kennen. Das hat sich erst mit der Einladung über die evangelische Kirche geändert, die uns mit Christoph Tannert zusammengebracht hat. Das fanden wir natürlich superinteressant – und die DDR-Künstler_innen ebenfalls. In diesem Zusammenhang habe ich auch Thomas Flierl kennengelernt. Der war als West-Berlin-Beauftragter für uns zuständig und hat uns sehr geholfen. Ich erinnere mich, wie wir versucht haben, eine Fotoausstellung aus den Staatlichen Museen zu übernehmen, Schicksal einer Sammlung – Thema waren die Verluste zeitgenössischer Kunst in der Nazizeit. Es ging politisch über Monate nicht von der Stelle. Ich wusste, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz [West] und die Staatlichen Museen [Ost] keinen Kontakt hatten und sich nicht austauschen durften. Aber aus meiner Sicht sprach nichts dagegen, dass die nGbK als nicht staatliche Organisation mit den DDR-Museen redet. Da ist Thomas Flierl mit mir zum Generaldirektor der Staatlichen Museen gegangen und hat gesagt, dass er erwartet, dass das Ding jetzt läuft, und dann ist es gelaufen. Er war absolut furchtlos, im Gegensatz zu vielen anderen. Zur Ausstellungseröffnung haben wir dann die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eingeladen – und die sind tatsächlich gekommen, was sie sonst nie gemacht hätten! Dann haben wir die Herrschaften miteinander bekannt gemacht. Das war gut und gleichzeitig war es auch lächerlich, aber so ist Politik manchmal.

ALW: Beatrice E. Stammer spricht die schlechte Bezahlung an, die es für die Realisierung der Ausstellungen gab. Wie hast du das wahrgenommen?

CZ: Als ich anfing in der nGbK, habe ich erst gar nichts verdient, dann ein bisschen mehr, aber nie so viel, dass man davon leben konnte. Das war damals aber nicht so schlimm, weil West-Berlin relativ billig war. Als Geschäftsführerin einer kleinen Institution habe ich das gewöhnliche Gehalt bekommen. Aber für die Leute, die wie Beatrice E. Stammer hauptsächlich freiberuflich gearbeitet haben, war das schon schwer. Die Höhe der Honorare war Dauerthema.

ALW: Bist du noch im Kulturfeld aktiv?

CZ: Parteipolitisch mache ich praktisch nichts mehr. Das Drumherum geht mir zu sehr auf die Nerven. In anderen Zusammenhängen wie der Alten Münze oder dem Haus der Statistik bin ich noch mit dabei.

Ich habe auch eine Frage: Wird in der nGbK noch diskutiert? Ich finde es teilweise schon beängstigend, dass es nur so wenig Debatten über gesellschaftliche Themen gibt, aber so viele Verbote. Tabuisierung statt Auseinandersetzung – das ist für mich erschreckend. Bitte thematisiert das in der nGbK, sie wäre der richtige Ort dafür!

 

 

[1] Werner Haftmann war 1955, 1959 und 1964 Mitarbeiter der documenta. Von 1967 bis 1974 war er erster Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehört.

Tags