Gernot Bubenik

„Die Hoffnung war, eine Struktur, eine Satzung zu erfinden, die sich von allen anderen unterscheidet, um demokratische Verhaltensweisen entwickeln zu können.“

8.7.09 Typ: Mitgliederinterview

Das Interview führte Leonie Baumann am 8. Juli 2009. Es ist erschienen als „Gernot Bubenik: Aktionsgruppe Kunst“, in: 40 Jahre Neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin 2009, S. 52-59.

Leonie Baumann (LB): Ihrer Biografie entnehme ich, dass Sie schon in den 1960er Jahren für den Berufsverband Bildender Künstler kulturpolitisch aktiv waren. Mit welchen politischen Zielen haben Sie sich damals für den BBK und die Aktionsgruppe in der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst, später dann für die NGBK engagiert?

Gernot Bubenik (GB): Der BBK verstand sich bis 1967 als reiner „Wirtschaftsverband“. Als Mitglied des BBK gründete ich 1967 die Arbeitsgruppe Berufsverband mit dem Ziel, ein neues Selbstverständnis des BBK zu initiieren. Zur Arbeitsgruppe Berufsverband beim BBK, die sich ab 1967 in meiner Wohnung traf, kam bald auch Dieter Ruckhaberle. Sein Anliegen war, über die undemokratische Struktur der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst zu informieren und forderte die Arbeitsgruppe Berufsverband auf mitzuhelfen, dort eine Änderung der Satzung herbeizuführen. Dazu gründeten wir die Arbeitsgruppe Kunstverein. Alle Anwesenden beschlossen, sich in beide Organisationen, BBK und DGBK, einzutragen, sofern sie nicht schon Mitglieder waren. Bei den Treffen der Arbeitsgruppe im Kunstverein begann die Diskussion über eine demokratische Satzung der DGBK und wie diese strategisch durchzusetzen sei. Im Verlauf dieser Gespräche gab sich die Gruppe den Titel „Aktionsgruppe im Kunstverein” und verlegte ihre Treffen in die Räume des Studentenausschusses der HfbK. Diese Adresse wurde dann auch als Absender für Mitteilungen und Flugblätter genutzt. Als BBK-Vorstandsmitglied vertrat ich ab 1968 auch die Interessen der Arbeitsgruppe Berufsverband im Vorstand und unterstützte mit dem Vorstand des BBK die Demokratisierung der DGBK und die Gründung der NGBK.

Die Studentenausschüsse der HfM (Hochschule für Musik) und HfbK waren ab 1968 für kulturpolitische Aktivitäten sensibilisiert. Obwohl nach meiner Kenntnis der SDS der Kulturpolitik wenig Aufmerksamkeit widmete, gab es von dort aus doch Offenheit und Zustimmung. Ich erinnere eine Veranstaltung mit Peter Weiss in den Räumen des SDS, ein Treffen einer Projektgruppe Kultur und Revolution in der Wohnung von Hans-Werner Heister am 14.3.1968, an dem vier Personen einschließlich Jobst Meyer und ich teilnahmen, ein Treffen mit einer Arbeitsgruppe Kulturpolitik im SDS in der Wohnung von Christiane Maether, an dem außer mir noch Jobst Meyer, Hadlich und Freiersleben anwesend waren. Meines Wissens gab es zwei Treffen dieser Gruppe. Hans-Werner Heister meinte aber angesichts der starken eigenverantwortlichen Aktivitäten der Bildenden Künstler, dass ein Mitwirken des SDS bei dieser Aktion nicht erforderlich sei. Dabei ist es, soweit ich es wahrnehmen konnte, geblieben. Ich selbst war als Vertreter des BBK vom AStA der HfM am 29.3.1968 zu einer Informationsveranstaltung eingeladen, um ein Referat über die „Berufsperspektiven des freien Künstlers” zu halten. In der HfbK wurde das Marxismus-Seminar von Wolfgang Fritz Haug angeboten. Dieter Ruckhaberle animierte die Aktionsgruppe im Kunstverein dort hinzugehen.

Von einigen Teilnehmern an beiden Aktivitäten (BBK und Kunstverein) war bekannt, dass sie Mitglieder der SEW waren. Dies wurde nach meiner Einschätzung insoweit zum Problem, als sich sowohl im BBK als auch vor und nach der Gründung in der NGBK Fraktionen bildeten, die sich nicht mehr der demokratischen Meinungsbildung in Gruppendiskussionen und den demokratischen Abstimmungen verpflichtet fühlten, sondern mehr der Politik ihrer Partei, deren Standpunkte aber natürlich nicht zur Diskussion standen. Die zunehmende Zurückdrängung der Berufsinteressen der Künstler und ihrer Strategien führte dann auch 1973 zu meinem Rückzug aus den Aktivitäten in beiden Bereichen.

LB: Sie gelten als der Urheber des NGBK-Logos. Nun haben Sie diese beeindruckende Mappe mit ersten Skizzen und Zeichnungen mitgebracht, anhand derer die Entstehungsgeschichte des Logos nachvollziehbar wird (s. Abb. S. 53, 54, 55). An diesen Versuchen um eine angemessene Visualisierung der Struktur und der Basisdemokratie waren offensichtlich viele beteiligt: Göta Tellesch, Herbert Mondry, Sie u.a.

GB: Ja klar, ich habe diese verschiedenen Ideen der Gruppe aufgenommen und versucht, sie in ein Logo umzusetzen. Ein Bild sollte anschaulich signalisieren, dass etwas Neues passierte. Sie waren damals von meinen Arbeiten irgendwie angetan und fasziniert von der Bildsprache, die ich benutzt habe. Wir haben uns dann auf einen Kompromiss geeinigt und so entstand das Logo der NGBK.

LB: Wie würde das Logo denn aussehen, wenn Sie alleine die Gestaltung hätten bestimmen können, ohne mehrheitliche Abstimmung?

GB: Ich hatte an verschiedenen Entwürfen gearbeitet und versucht, diese Zyklus-Idee zu artikulieren, was gar nicht so einfach war. Das tatsächliche Geschehen in eine räumliche Gestalt zu überführen, die Wechselwirkung zwischen dem Agieren der Arbeitsgruppen, der Reflexion der Ausstellungsentwicklung und der emotionalen Wirkungen irgendwie zu fassen, daran war ich interessiert. Es gab einen Entwurf für die letzte Sitzung, auf der das Logo beschlossen werden sollte. Als er auf dem Tisch lag, setzte ein Grafikstudent alles in Kästchen um. Während ich versucht hatte, den Prozess ohne Unterbrechung darzustellen, am besten in einem Kreis, der sich wieder zusammenfügt, wurde nun alles wieder ordentlich gerahmt.

LB: Schon in Ihrem ersten Schaubild sind Elemente des Logos vorhanden: die Pfeile, die hin und her gehen, die Durchlässigkeit, die dargestellt wird…

GB: Ja, meine Idee war, dieses Strukturmodell auch als Logo zu verwenden. Das ist nicht ganz gelungen, weil noch mehr Diskussion nötig gewesen wäre. Ich muss ehrlich sagen, unsere Gedanken waren noch unstrukturiert. Die meisten dachten in „oben und unten“ und „links und rechts“ sowohl politisch als auch geometrisch, während die Vorstellung von Kreisen oder von spiralförmigen Prozessen formal unmöglich umzusetzen war. Also haben wir dann den grafischen Entwurfsprozess abgeschlossen, weil die Ideen ja gebraucht wurde. Leider ist die Diskussion darüber auch später nicht fortgesetzt worden. Eine Struktur ist gleichzeitig eine Hilfe, seine Gedanken zu ordnen. Diesen Ordnungsprozess der Gedanken habe ich mir immer als andauernde und nicht abschließbare Geschichte vorgestellt. Die Chance war, tatsächlich mit einer grafischen Struktur Handlungen zu versinnbildlichen, das Verhältnis von Arbeitsgruppen, Koordinationsausschuss und Geschäftsführung im positiven Sinne vorzubereiten. Die Hoffnung war, eine Struktur, eine Satzung zu erfinden, die sich von allen anderen unterscheidet, um demokratische Verhaltensweisen entwickeln zu können. Mehr kann man als Grundlage nicht schaffen, alles Weitere musste man den Leuten in den Arbeitsgruppen überlassen. Man konnte und wollte nicht eingreifen, egal, ob sie sich nun die Köpfe einschlugen, sich prügelten oder ob sie zu einem produktiven Ergebnis kamen. Mehr oder weniger hat damals jeder unter der eigenen Unfähigkeit, demokratisch zu agieren, gelitten. Mein Verhältnis zur Gruppe changierte immer irgendwie zwischen Kidnapping und Adaption. Der Zugriff der Gruppe auf den Einzelnen und die daraus folgenden realen persönlichen Interaktionen können manchmal sehr unangenehm sein. Man kann Überraschungen erleben, man lernt Menschen anders kennen, es beginnt eine Sortierung: das ist demokratisch, das ist nicht demokratisch! Man kommt zu keinem Ergebnis, geht Kompromisse ein usw. Viele Künstler, deren Individualität der Kern ihres Selbstverständnisses ist, haben darunter besonders gelitten.

LB: Nach meinen Beobachtungen wurde das Logo in den 1990er Jahren eher als veraltet und verstaubt angesehen, während heute viele, insbesondere junge Leute, ganz begeistert reagieren. Sie finden das Logo wieder zeitgemäß. Können Sie sich vorstellen, dass die frühere Idee, einen Freiraum für demokratisches Verhalten zu symbolisieren, heute wieder spürbar ist?

GB: Das hoffe ich auf jeden Fall. Die NGBK ist ja wirklich eine Institution, die einen ganz bestimmten Freiraum ausgenutzt hat und ausnutzt und das sehr erfolgreich. Sie spricht ein Publikum an, generationsübergreifend, das sein Bedürfnis nach Individualität hier realisiert sieht.

Allerdings ist das Verhältnis von Individuum und Gruppe nach wie vor problematisch. Die Gemeinschaft engt das Individuum ein, ganz real, ohne abschätzen zu können, welche Folgen das für das Individuum hat oder gar, ohne sich dafür zu interessieren. Eine Gruppe hat ihr Gruppenziel zu erfüllen, egal ob die einzelnen Individuen damit zurechtkommen. Ich kenne die Prozesse in den Arbeitsgruppen heute nicht mehr, ich kann letztendlich nur von meinen Erfahrungen sprechen. Damals hat man sich nicht darum gekümmert, diesen Grundkonflikt zu lösen, weil es niemanden interessierte. Es wäre aber nötig gewesen, um komplexer wirksam werden zu können. Für mich wäre das eine konkrete, aktuelle Frage an die NGBK, die jetzt 40 Jahre Gruppenprozesse erlebt hat. Wie sind die einzelnen Individuen damit zurechtgekommen, was haben sie in die Gemeinschaft eingebracht, was konnten sie nicht einbringen, was ist mit dem, was sie nicht einbringen konnten und was passiert mit dem, was sie eingebracht haben?

LB: Wenn Sie die Ausstellungen der Anfangszeit mit denen von heute vergleichen, gibt es Projekte in den letzten Jahren, die dem entsprechen, was Sie sich damals vorgestellt habe, die an vergleichbaren Ideen arbeiten?

GB: Solche Ausstellungen nehme ich immer wieder wahr. Es ist für mich ein Glücksgefühl – das kann ich ganz emotional sagen. Ich fühle mich zwar immer noch nicht eingeholt, in Bezug auf das, was ich vorausgedacht habe, was ich empfunden habe. Ich sehe aber in der gesamten Entwicklung die Bestätigung, dass meine Ideen nicht so abwegig gewesen sein können, dass Vieles machbar ist und oft übertreffen die Vorhaben der NGBK meine Intentionen und Vorstellungen. Auf jeden Fall sehr positiv!

Aber diese langen Anfangsjahre, in denen es ein Aufholbedürfnis gab, gesellschaftskritische Themen zu behandeln, waren doch etwas ermüdend. Es kam mir wie Nachhilfeunterricht vor, der wohl sein musste. Immer wieder wurde abgestimmt, viele gute Ideen unterlagen in den Abstimmungen. Alle Kräfte wurden auf die Grundlagenforschung über die Funktionen der Kunst in der Gesellschaft konzentriert.

LB: Ich sehe Sie regelmäßig bei vielen Ausstellungseröffnungen. Haben Sie auf der Grundlage Ihrer historischen Erfahrungen und Ihres Engagements zu Zeiten der Gründung einen Wunsch oder Ratschlag für die Arbeitsgruppen oder für die Zukunft der NGBK?

GB: Sich mehr selber reflektieren, also diese Gruppenproblematik lösen. Wenn das nicht gelöst wird, kann es im Laufe der Zeit zu einer Sklerose kommen.

Verwandt

nGbK – 40 Jahre

1969-2009

Typ: Print-Publikation

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