Jula Dech

„Ich wollte Plakate machen, nicht malen“

7.12.21 Typ: Mitgliederinterview

Gespräch mit Jula Dech in ihrem Studio in Charlottenburg am 7. Dezember 2021

 

Mit Betreten des Studios steht man mittendrin im Kosmos der 1941 geborenen Künstlerin Jula Dech: Im Eingangsbereich hängen mehrere Plakate, die sie zum Teil selbst gestaltet und gedruckt hat – eines ist Honoré Daumier gewidmet und stammt von der ersten Ausstellung, die sie 1974 mit der nGbK realisiert hat. Daneben finden sich Plakate zu Hannah Höch und Käthe Kollwitz und eines, das die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 fordert. Jula Dech beginnt zu erzählen:

Jula Dech: Mein Studium spielte sich in den 1960er-Jahren ab, im Ambiente der Student_innenbewegung. Die hier hängenden Plakate von Honoré Daumier und Käthe Kollwitz weisen auf den wichtigen sozialkritischen Aspekt hin, der aus dieser Atmosphäre der Revolte in unser Studium der Kunst einkehrte, ja einbrach.

Auf dem Tisch, an den wir uns setzen, hat Jula Dech Dias ihrer Ausstellung Unbeachtete Produktionsformen (1982) bereitgelegt, ihren Aufsatz „Blinder Fleck – Die neue Gesell(en)schaft und die Frauenkunst“ aus der nGbK-Jubiläumspublikation 21 – was nun? (1990) aufgeschlagen, den Katalog zur Ausstellung Künstlerinnen international 1877–1977 und einen Kunstgeschichtsband zu Künstlerinnen ausgebreitet. Im Laufe des Gesprächs wird noch ihre Publikation zu Hannah Höch hinzukommen, die aus Anlass eines Kongresses zur Künstlerin 1991 veröffentlicht wurde.

Anna-Lena Wenzel: Jula, wie bist du Vereinsmitglied der nGbK geworden?

Jula Dech: Über meine Schwester Barbara. Sie hat an der nGbK in der Geschäftsstelle als Sekretärin unter Bernd Weyergraf gearbeitet. Das war noch, als ich in Stuttgart gelebt habe. Ich wurde sogar eines der frühen Mitglieder der eben gegründeten Vereinigung. Es waren die Kunst und die Politik gleichermaßen, die mich Anfang der 1970er-Jahre dann aus Stuttgart nach West-Berlin zogen.

ALW: Wie hast du die nGbK damals wahrgenommen?

JD: Die nGbK war angetreten mit dem Ziel, in die Gesellschaft zu wirken, und nicht, um Bilder auszustellen. Deswegen sind die Maler_innen auch in den n.b.k. gegangen. Mir kam das entgegen, denn ich wollte Plakate machen, nicht malen. In der nGbK kamen alle und alles zusammen: kritische Geister, Kritik an der Gesellschaft, kritische Auseinandersetzung mit der Kunst. Die nGbK war kein klassischer Kunstverein mit Mitgliedern, Jahresbeiträgen und Kuratorinnen, die gegebenenfalls Künstlerinnen als einer Ausstellung würdig auswählten. Vielmehr waren die meisten Mitglieder der nGbK selbst Künstler_innen, die gemeinsam ihren neuen, kritischen Blick auf Kunst und Gesellschaft öffentlich thematisieren wollten. Und wie viele von ihnen, war auch ich als Künstlerin zugleich geprägt vom Studium einer Kunstgeschichte, in der es erst noch zu suchen galt nach den vernachlässigten kritischen Maler_innen, vor allem nach den verkannten, ja unterdrückten Frauen unter ihnen. Das erste Projekt, an dem ich mitarbeitete, trug den offensiven Titel Honoré Daumier und die ungelösten Probleme der bürgerlichen Gesellschaft, das war im Jahr 1974. Zwei, drei Jahre beschäftigte sich unsere Arbeitsgruppe intensiv mit diesem Thema, bevor es dann – in der noblen Orangerie des Schlosses Charlottenburg – der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Dabei war es selbstverständlich, dass es für uns kein Geld gab.

ALW: Wie hast du dich da aktiv eingebracht?

JD: Die Arbeit in der Gruppe inspirierte mich zu einer genaueren Analyse insbesondere der grafischen Werke des engagierten Journalisten Daumier, die in einem Katalogbeitrag mit dem Titel „Die Herstellung von Freiheit durch Druck“ resultierte. Darüber hinaus aber ging es mir darum, die Wahrnehmungen des Publikums durch eigene Erfahrungen zu erweitern. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion transportierten wir eine schwere gusseiserne Lithografiepresse an den Ausstellungsort, wo wir dann interessierten Anwesenden diese schwierige Technik praktisch demonstrierten. Zu diesem Zweck habe ich mittels einer komplizierten Technik Grafiken von Daumier auf Lithografie-Steine übertragen, sodass die staunenden Besucher_innen sich gar selbst ihren „originalen“ Daumier drucken konnten. Klar, dass diese Ausstellung damals große öffentliche Resonanz erfuhr. Aber es war sehr viel Arbeit – wir haben sogar nachts gedruckt!

ALW: Grafische Techniken, insbesondere Radierung und Lithografie, werden im Allgemeinen ja eher der Tradition zugerechnet. Bei dir ist das Plakat jedoch ein politisches Medium?

JD: Es war 1968. Es gab jede Menge politische Aktivist_innen in den Hochschulen, Proteste gegen die Notstandsgesetze, gegen den Paragrafen 218, Demonstrationen gegen die Diktaturen in der Türkei, in Griechenland, im Iran. Ständig kamen Studierende in meine Werkstatt, die unter ihnen schon bald „Ohnesorg-Werkstatt“ hieß, um Plakate zu drucken. Und natürlich war dafür der Siebdruck die Technik.

ALW: Du warst auch Mitinitiatorin der Arbeitsgruppe zur Ausstellung § 218 – Bilder gegen ein K(l)assengesetz, die 1977 in der Galerie Franz Mehring stattfand und die vom Künstlerhaus Bethanien unterstützt wurde. Wie ist die Ausstellung zustande gekommen?

JD: Wir hatten, keineswegs nur Frauen, ein Netzwerk aufgebaut, das von der Schweiz bis nach Holland reichte. Künstler_innen aus West-Berlin und der BRD ebenso wie aus Nachbarländern schickten uns ihre gegen das Gesetz gerichteten Arbeiten. Damit entstand eine umfangreiche Ausstellung in der Kreuzberger Galerie Franz Mehring, deren außerordentlich engagierter Leiter Dieter Ruckhaberle uns half, das Projekt gegen alle heftigen ideologischen Attacken durchzusetzen. Ja, es wurde sogar eine Wanderausstellung daraus, die dann an vielen Orten in Westdeutschland zu sehen war.

ALW: Warst du auch im Koordinationsausschuss (KOA) der nGbK aktiv?

JD: Das war ein Zentrum der Diskussionen. Hier wurde nicht selten heftig gestritten um die „richtige“ Weltanschauung, die ja inzwischen längst auch in die Fänge von politischen (Splitter-)Gruppen geraten war. Diente alles der Entwicklung eigener kritischer Standpunkte und beflügelte meine Arbeit. Eine Zeit lang habe ich vor allem künstlerische Plakate produziert, die auch in vielen Publikationen erschienen sind.

ALW: Dann gab es da die letzte Ausstellung der nGbK, bei der du als Arbeitsgruppenmitglied aktiv warst, mit dem Titel Unbeachtete Produktionsformen, in Zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus Bethanien. Worum ging es dabei?

JD: Es ging um die alltägliche Arbeit von Frauen, die von der männlichen, der patriarchalischen Gesellschaft traditionell gering geschätzt, übersehen, ja geleugnet wurde: Hausarbeit, Versorgung der Familie, Betreuung der Kinder … Und natürlich ging es auch um die untergeordnete Rolle, die den Frauen dabei zugewiesen wurde. Vergessen wir nicht, dass Ehefrauen in der BRD bis Ende der 1950er-Jahre zu Haushaltsarbeit gesetzlich verpflichtet waren, außerhäusliche Erwerbsarbeit nur mit Genehmigung ihres Gatten annehmen und sogar ein eigenes Konto nur mit seiner Unterschrift eröffnen durften. Mittelalter – nicht lange her.

ALW: Und wo fand diese Ausstellung statt?

JD: Im Künstlerhaus Bethanien, einem bekannten Veranstaltungsort der sogenannten Szene. Linke Aktivist_innen hatten das ehemalige Kreuzberger Krankenhaus, das 1974 für Renditeobjekte abgerissen werden sollte, über Nacht besetzt und durch nachhaltigen Widerstand gerettet. Schließlich wurde in Verhandlungen mit dem Senat die Umwidmung in ein Kulturzentrum, unter anderem mit einer Druckwerkstatt, erwirkt.

ALW: Beatrice E. Stammer hat erzählt, wie schwer es zum Teil war, auf den Hauptversammlungen Projekte durchzusetzen, die einen feministischen Schwerpunkt hatten. Wie war es bei Unbeachtete Produktionsformen?

JD: Es gab heftige Auseinandersetzungen in der Hauptversammlung, weil die Herren – vorwiegend linke, kritische Männer – so etwas für überflüssig hielten! Wir Frauen aber haben das Projekt durchgesetzt.

ALW: Und was war in der Ausstellung zu sehen?

JD: Das lässt sich am Beispiel meiner Arbeit zeigen, die sich aus einer dreiteiligen Installation mit dem Titel Gewalt und Widerstand zusammensetzt. Ich hatte da einen Kinderlaufstall, eine Badewanne und ein traditionelles Ehebett aufgebaut. Wobei das Bett für krude patriarchale Vorstellungen von der Ehe stand, die Badewanne für die tief verankerten Zwangsnormen von Sauberkeit und – Assoziation zur Nazizeit – Säuberungen, der Laufstall natürlich für die übliche erziehungsmäßige Zurichtung von Kindern. Auf diese heilige deutsche Trinität ließ sich dann, unter anderem mit Kommentaren und Aktionen, das familiäre Rollenbild projizieren, und die widersprüchliche Haltung von Frauen zwischen Mitmachen und Aufsässigkeit konnte ausgetragen werden. Eine Pointe bestand übrigens darin, dass der Leihgeber des Bettes – wie wir später erfuhren, ein ehemaliger Nazi-Richter – dieses erbost zurückforderte, als er bei einem Ausstellungsbesuch zwei junge Frauen sich in „seinem“ Bett „wälzen“ sah. 

ALW: Ich erinnere mich an Fotos der Eröffnung, bei denen ihr Kisten ausgepackt habt, die euch Frauen aus Europa und Amerika geschickt haben?

JD: Ja, das Projekt war von Anfang an international ausgelegt – mit Kontakten nach Frankreich, Holland, in die USA oder Mexiko. Schon bald bekamen wir zahllose Briefe von dort zugeschickt, ganze Kisten mit künstlerischen Objekten. Ich hatte auch selbst erschütternde Fotos von Grabsteinen aus einem zufällig entdeckten toskanischen Dorf mitgebracht, die unsere NS-Vergangenheit betrafen. Da hatte die Wehrmacht 1944 alle 150 Einwohner_innen ermordet, vom Kind bis zum Greis, um sich für einen Angriff von Partisan_innen zu rächen. Diese Bilder wurden als Dias zum Bestandteil der Ausstellung.

ALW: Von den Honoraren, die man bei der nGbK bekommen hat, konnte man schwerlich leben. Wie hast du dich finanziert?

JD: Ich war viel zu Vorträgen und Veranstaltungen unterwegs, zeitweise auch als reisende Lehrbeauftragte an mehreren Orten zugleich: neben der Berliner Tätigkeit an der Pädagogischen Hochschule, die sich dann auch auf die FU erstreckte, in Braunschweig, Hamburg oder Trier. Mal ging es um Fotografie oder Siebdruck, zunehmend dann aber vor allem um die bis dahin unbekannte Frauen-Kunstgeschichte. Dass ich nebenbei diese und jene „Jobs“ annehmen musste – etwa die Betreuung von Künstlerinnen in einem Altenheim –, hat mir auch nicht geschadet.

ALW: Wie ging es für dich dann weiter, mit der eigenen Kunst, der Lehre, anderen Aktivitäten?

JD: In den 1980er-Jahren gingen viele der zuvor spontanen und vorübergehenden Projekte in „ordentlichere“ Formen über – vielleicht das, was Rudi Dutschke einmal als Ziel des „Marschs durch die Institutionen“ ausgegeben hatte. Ich bewarb mich 1986 erfolgreich auf eine Stelle in der vom Senat getragenen Kulturpädagogischen Arbeitsstelle – inzwischen in Institut für Kunst im Kontext umbenannt. Zunächst auf Berliner Künstler_innen beschränkt, zog das Angebot zur Weiterbildung schon bald eine internationale Klientel an. Im Zentrum ging es darum, was man oder frau mit Kunst alles machen könne, über das eigene Produzieren in der Zurückgezogenheit eines Ateliers hinaus: Arbeit mit Kindern, alten Menschen, Migrant_innen oder sogenannten Randgruppen, therapeutische oder biografische Arbeit und so weiter.

ALW: Du hast dich zugleich sehr intensiv mit Hannah Höch beschäftigt … 

JD: Ja, über die lange Zeit vergessene Dadaistin habe ich viel publiziert. Im November 1989, just in der Phase der Maueröffnung, organisierte ich mit unseren Studierenden ein dreitägiges Symposium in der Akademie der Künste, das nur ihr und ihrem Werk gewidmet war. Dazu kamen Referentinnen aus aller Welt angereist. Das ist alles nachzulesen und anzuschauen in unserer umfangreichen Kongress-Dokumentation Da-da-Zwischenreden. Ich glaube, ich darf aufgrund der Resonanz sagen, dass diese Arbeit die Sicht auf die Kunst von Frauen maßgeblich verändert hat. Und die damals entstandene Buchreihe Der andere Blick – Frauenstudien in Wissenschaft und Kunst zeigt mit ihrer Förderung durch den Berliner Senat an, wie allmählich auch in der Politik ein Umdenken im Hinblick auf die Frauenforschung einzusetzen begann. Aber natürlich bleibt bis heute immer noch viel zu tun.

ALW: Was hast du in der nGbK gelernt?

JD: Sehr positiv war für mich an der nGbK, dass sie eine neue Sicht auf Kunst gebracht hat. Es ging darum, die Kunst zu den Menschen zu bringen. Wir haben viel zusammen gelernt, vor allem, Tabus zu hinterfragen.

ALW: Bist du noch Mitglied der nGbK?

JD: Ja, weil ich sie von der Idee her immer noch gut finde.

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