Matthias Reichelt und Josefine Geier

„Ich fand die nGbK und dieses Learning-by-Doing-Prinzip extrem wichtig. Ohne diesen Verein wäre ich nicht dort, wo ich heute bin“

15.11.21 Typ: Mitgliederinterview

Gespräch mit Matthias Reichelt und Josefine Geier am 15. November 2021 in ihrer Wohnung

 

Anna-Lena Wenzel: Matthias, wie bist du zur nGbK gekommen?

Matthias Reichelt: Ich glaube, die Beantragung der Mitgliedschaft war 1981 für die Ausstellung Das andere Amerika. Ich war Student der Amerikanistik, und einer meiner Dozenten war der Soziologe Reinhard Schultz. Wir wollten eine deutsche Ausgabe der Geschichte der Arbeiterbewegung der USA des marxistischen US-Historikers Philip S. Foner herausgeben. Durch die Bekanntschaft mit Tom Fecht, Mitbegründer der Elefanten Press, kam dann die Idee auf, dass man daraus eine illustrierte Geschichte macht als Buch sowie eine Ausstellung. Dann sind wir Mitglieder geworden, aber ehrlich gesagt, ziemlich naiv. Ich habe noch diese Hauptversammlung in der TU in Erinnerung, da waren etwa 200 Leute. Es gab richtige ideologische Blöcke, Alternative Liste, letzte Reste Maoist_innen beziehungsweise Spontis, die Mitglieder der SEW, die als „Revisionist_innen“ bezeichnet wurden und zu denen wir gehörten, sowie Personen, die sich nirgendwo dazuzählten. Es kam zu harten, aber spannenden Diskussionen.

Die ganze Vereinsprozedur haben Reinhard und ich erst kurz vor Eröffnung der Ausstellung 1983 in der Staatlichen Kunsthalle richtig kapiert. Tom Fecht war immer derjenige, der Protokolle geschrieben hat. Er war Vertreter im Koordinationsausschuss (KOA) und das Bindeglied zur nGbK. Später fanden wir Protokolle von AG-Sitzungen mit Beschlüssen, die an uns völlig vorbeigegangen waren, da wir uns hauptsächlich um Recherche, Dokumente und Leihgaben gekümmert haben. Die Ausstellung endete mit einem Defizit. Reinhard und ich haben für drei Jahre jeweils um die 1500 DM bekommen, aber die Hauptarbeit geleistet, auch weil wir die Ausstellung weiter betreut haben, als sie auf Reisen ging (zum Beispiel nach Stockholm, wo der nGbK eine Übernahmepauschale von 25.000 DM gezahlt wurde, womit das Defizit maßgeblich getilgt werden konnte). Ich würde sagen, es ist ganz selten, dass in Arbeitsgruppen die Arbeit gleich verteilt ist. Das sind so Erfahrungen, die man immer wieder gemacht hat. Trotzdem: Ich fand die nGbK und dieses Learning-by-Doing-Prinzip extrem wichtig. Ohne diesen Verein wäre ich nicht dort, wo ich heute bin. Das hat auch immer viel Spaß gemacht, insofern bereue ich das überhaupt nicht.

ALW: Du hast auch in der Geschäftsstelle (GS) gearbeitet. Wann war das?

MR: Das war ab September 1986, aber eher zufällig. Ich wurde gefragt, ob ich temporär dort als Vertretung arbeiten möchte. Ich hab gesagt, gerne, aber nur unter der Bedingung, dass ich weiterhin in meiner Freizeit bei Projekten mitmachen kann. Das war das Grundarrangement, bei dem klar war, dass ich in den Arbeitsgruppen, denen ich angehöre, keine Funktion wie Finanzreferent oder KOA-Vertreter ausüben darf. Diese Möglichkeit ist mir später unter Leonie Baumann genommen worden. Sie ist 1991 gewählt worden, als Christiane Zieseke in die Kulturverwaltung gewechselt ist. Bis Anfang 1996 haben Leonie Baumann und ich vertrauensvoll und gut zusammengearbeitet, aber dann gab es bei NO!art Probleme. Insgesamt war die Geschäftsstelle eigentlich kollektiv und hierarchiearm aufgestellt. Das fand ich auch immer ganz wichtig, dass das in diesem Geist funktionierte, dass sich alle – mehr oder weniger – für das Ganze verantwortlich fühlen und auf das Image des Vereins nach außen achten. Der Anspruch war, dass wir alle miteinander auf Augenhöhe umgehen. Aber dann gab es immer mehr eine Aufteilung in „die da oben“ und „die da unten“ – unten waren die Subalternen, wie die Leute, die Aufbau oder Bewachung gemacht haben. Ich fand das sehr problematisch. Es entstand ein vergiftetes Klima der Intriganz, und viele haben die Geschäftsstelle verlassen. Die Erste, die ging, war Maria Wegner, die zusammen mit Leonie Baumann vom Kunst-am-Bau-Büro gekommen war. Das Arbeitsverhältnis zwischen Leonie Baumann und mir wurde für mich so problematisch, dass ich keine andere Möglichkeit mehr gesehen habe, als Ende 2004 zu kündigen. Insgesamt hat der Prozess der Abnabelung von der nGbK bei mir fast acht Jahre gedauert.

Die Ausstellung Achtung Sprengarbeiten! 2007 hatte etwas mit der breiten, auch im KOA und in den Hauptversammlungen von einem beachtlichen Teil der Mitgliedschaft geäußerten Kritik an den intransparenten Strukturen und dem autoritären Tonfall zu tun. Das Thema ist entstanden, weil wir gesagt haben, die nGbK müsse in einer Art produktiver Sprengung aufgeknackt werden. Ab 2008 habe ich mich aber nicht mehr als Mitglied verstanden und stellte die Beitragszahlung ein. Rückwirkend würde ich sagen, dass die nGbK als Verein und Institution meine Sympathie gehabt hat und auch immer noch hat. Ich finde den Verein wichtig, besonders als Feld des Ausprobierens und Lernens. Diese langwierigen Prozesse der Diskussion würde ich heute aber nicht mehr mitmachen, dafür hätte ich keine Geduld mehr.

ALW: Wie hast du die nGbK damals wahrgenommen?

MR: Der Charakter war früher noch anders, da gab es noch nicht so viele andere Institutionen. Es gab die zwei Kunstvereine und die klassischen, traditionellen Museen, jetzt gibt es ganz viele Institutionen, die ähnliche Themen aus einer kritischen und linken Position behandeln. Auch der n.b.k. hat sich unter Marius Babias wesentlich verändert. Inhaltlich sind sich beide Kunstvereine heute sehr nahe.

ALW: Aus heutiger Perspektive fällt es schwer, mir vorzustellen, dass die beiden aus einer Spaltung hervorgingen.

MR: Weil es keinen Kunstverein gab, hat der Kultursenat angeregt, einen zu gründen. Daraufhin ist 1965 die Deutsche Gesellschaft für Bildende Kunst (DGBK) entstanden. Das war eine Art Kalter-Krieg-Gründung, weil West-Berlin künstlich als kulturell vital gegenüber der DDR gelten sollte. Innerhalb dieser Gesellschaft gab es 1968/69 einen Teil der Mitgliedschaft, der mitbestimmen wollte. Dieser Teil gründete dann die links positionierte Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, während die restliche Mitgliedschaft der DGBK sich als traditionell bürgerlicher Neuer Berliner Kunstverein formierte. Allein schon die Bestimmung des Programms und die Produktionsprozesse waren bei der nGbK völlig anders. Während du auf der einen Seite das klassische Direktoren- und Kuratorensystem hast, gibt es auf der anderen das basisdemokratische System mit AGs, die die Rolle der kollektiven Produzenten übernehmen.

ALW: Wie nimmst du die nGbK heute wahr?

MR: Ich muss gestehen, dass mir einige der heutigen Ausstellungen vom Duktus und von der Sprache der Vermittlung her nicht mehr nahe sind. Das hat damit zu tun, dass der Diskurs weitergegangen ist, aber auch damit, dass mir das Programm insgesamt zu wenig divers ist. Ich glaube nicht, dass Einzelausstellungen wie zum Beispiel zu Unica Zürn, Boris Lurie, Blalla W. Hallmann heute überhaupt noch eine Chance hätten, und das finde ich schade.

ALW: Wobei das RealismusStudio vor ein paar Jahren eine Einzelausstellung zu Toni Schmale gemacht hat, die vielleicht vergleichbar wäre.

MR: Vielleicht. Ich finde aber die thematischen Ausstellungen manchmal unscharf in der Abgrenzung. Die Recherchen erscheinen oft oberflächlich und berücksichtigen manche Fragen und Phänomene der vordigitalen Zeit kaum. Die nGbK war immer ein Ort für Themenausstellungen oder kulturpolitische und -historische Rückschauen und Untersuchungen mit Publikationen, die bis heute Geltung beanspruchen können. So etwas ist mir in den letzten Jahren nicht aufgefallen. Außerdem wird manchmal so getan, als würden Themen wie Kolonialismus oder Rassismus jetzt zum ersten Mal in der nGbK behandelt, was wiederum mit der Ignoranz gegenüber der analogen Epoche zu tun hat.

ALW: Du hast dich schon früh mit diesen Themen beschäftigt …

MR: Ja, ich war in der Anti-Apartheid-Bewegung aktiv und habe dafür gekämpft, dass die kolonialen Namen im Wedding geändert werden. Heute hat sich mein Standpunkt geändert, und ich würde sagen: bewahren und kommentieren. Geschichte und die Erinnerung daran müssen verständlich bleiben und dürfen nicht einfach ausradiert oder ersetzt werden. Bei diesem Thema fällt mir ein, dass ich es schade und völlig falsch fand, dass die nGbK ihr signifikantes Logo mit dem markanten Stern auf Betreiben von Diedrich Diederichsen abgeschafft hat. Für mich war das ein Akt kultureller Geschichtsvergessenheit, ein über vierzig Jahre bekanntes und identifikatorisches Signet einfach über Bord zu werfen und durch ein Signet farbloser Unentschiedenheit auszutauschen.

ALW: Kannst du etwas über die Ausstellung 100 Jahre Einmischung erzählen, die sich kritisch mit der Kongokonferenz auseinandergesetzt hat?

MR: Die Ausstellung der nGbK fand 1984 in den Räumen der Berliner Festspiele im Bikinihaus statt. Sie wurde von einer Arbeitsgruppe um Hans Mayer, der mit Ruth Weiss zusammen das Buch Afrika den Europäern. Von der Berliner Kongokonferenz 1884 ins Afrika der neuen Kolonisation im Peter Hammer Verlag herausgegeben hat, organisiert. Publikation und Ausstellung werden heute leider nicht erinnert, sollten aber wiederentdeckt werden.

ALW: Unser Wissensspeicher-Projekt ist ja mit eben diesem Anspruch angetreten: Auf thematische Kontinuitäten hinzuweisen, das Archiv zu öffnen und in Teilen digital zur Verfügung zu stellen.

MR: Ja, das ist auch sehr gut, müsste aber noch weiter ausgebaut werden. Vielleicht ist es an der Zeit zu überlegen, ob man den Schwerpunkt ein bisschen verändern sollte – in eine andere thematische Ausrichtung oder Produktionsweise. Man könnte erneut Grundsatzfragen stellen und an Thematiken anknüpfen, die zu Beginn der nGbK eine wichtige Rolle spielten. Zum Beispiel die unter anderem von dem Mitbegründer der nGbK Dieter Ruckhaberle und dem Marxisten Wolfgang Fritz Haug im Jahr 1970 gestellte Frage nach den Funktionen bildender Kunst. Was besagt der immense Bedeutungsgewinn von Kunst und Museen in der neoliberalen und hyperkapitalistischen Gesellschaft?

ALW: Es wurde ja das Format der zweijährigen Rechercheprojekte eingeführt, das ist zum Beispiel eine Besonderheit.

MR: Früher entstanden viel mehr Projekte aus den Universitäten heraus. Die Universitäten sind heute so systemaffin und befriedet, da finden keine politischen Kämpfe mehr statt.

ALW: Ich würde sagen, das Problem liegt vor allem im Abbau des Mittelbaus, heute hat man keine Zeit mehr, neben der Arbeit an der Uni noch andere Projekte zu realisieren, weil man sich in den meisten Fällen seine Stelle selbst schaffen und finanzieren lassen muss. Wobei das Projekt Left Performance Histories 2018 in Kooperation mit einem universitären Netzwerk der FU entstanden ist.

MR: Okay, ja, aber die ganze Bologna-Reform hat das Studium verschult und setzt die Studierenden stark unter Druck. Hinzu kommt, dass es bis in die 1980er-Jahre eine starke Präsenz des Marxismus an der FU gab, mit den Lehrveranstaltungen zur Kritischen Psychologie und überhaupt dem Fachbereich 11: Philosophie und Sozialwissenschaften, der heute nicht mehr existiert. Die Ausstellung Inszenierung der Macht ist 1987 zum Beispiel mehr oder weniger aus der Universität heraus entstanden. Das war eine riesige Arbeitsgruppe.

ALW: Du hast von den harten ideologischen Auseinandersetzungen in der Anfangszeit gesprochen. Wie schaust du da heute drauf?

MR: Ich glaube, bei all diesen Kämpfen ging es diversen Akteur_innen auch um die Repräsentation der eigenen Person und das Erreichen einer bestimmten Machtposition. Das kann man nie ganz voneinander trennen. Da ist es wichtig, an kollektiven, hierarchiearmen Strukturen festzuhalten und alles auf den Prüfstand zu stellen.

ALW: Wie war die Wahrnehmung der nGbK zu der Zeit, als du dort aktiv warst?

MR: Die West-Berliner Kulturszene war damals noch recht übersichtlich. Was den Anspruch betraf, neue und kritische ästhetische Vermittlungsformen von Kunst auszuprobieren, vernachlässigte Künstler_innen auszugraben oder den politischen Inhalt von Kunst zu thematisieren, da gab es kaum Akteur_innen oder Institutionen. Da war das Kunstamt Kreuzberg mit seinem Raum im Bethanien [heute Kunstraum Kreuzberg] und das Haus am Waldsee, das Haus am Kleistpark, sowie das Künstlerhaus Bethanien. Die meisten Kunstämter waren beschaulich und bieder in der Kunstpräsentation. Da hatte die nGbK gute Chancen, als radikale Kunstinstitution respektiert zu werden. Das hat sich nach 1990 gewandelt, weil viele andere Vereine und Projekträume entstanden sind. Heute gibt es so viele Orte, die sich als links-kritisch verstehen, und ein riesiges Netzwerk, das im Grunde selbst beauftragt das macht, was Arbeitsgruppen in der nGbK umsetzen. Ich weiß von der älteren Generation, mit der ich noch im Austausch bin, dass ihnen die nGbK immer mehr aus den Augen gerät. Das hat zum einen etwas mit den neuen und überstrapazierten, vom Zeitgeist geprägten Fragen zu Diversität, Gender, Postkolonialismus, Critical Whiteness und zum anderen mit der Sprache der Vermittlung zu tun. Vielleicht wäre es an der Zeit, mal die Gefahren von Hyper-PC-Bestreben in der Linken im Kulturbereich zu untersuchen und aufzuzeigen, wo das Ganze in Cancel Culture und neue Zensur mündet?

Ich empfinde es zum Beispiel heute so, dass gegen alte, weiße Männer auf eine rassistische Art argumentiert wird. Natürlich gibt es strukturellen Rassismus, den es zu bekämpfen gilt, aber wenn der Aufstand dagegen so weit geht, dass die anderen mundtot gemacht werden, wird es reaktionär. Jede_r muss sich immer wieder selbst hinterfragen. Nur weil man in der Anti-Apartheid-Bewegung war oder sich gegen Rassismus einsetzt, ist man noch lange nicht davor gefeit, unbewusst Rassismen zu bedienen. Als ich jünger war, habe ich gedacht, ich bin Antifaschist und Marxist und damit auf der richtigen Seite. Ich bin einmal für die Ausstellung Das andere Amerika an einen jüdischen Bildhauer in New York herangetreten, von dem wir Arbeiten haben wollten. Als ich ihn traf, hat er mich zuerst gefragt, was ich über jüdische Kultur wüsste. Ich habe gesagt, na ja, nicht viel, aber ich sei Antifaschist etc. Wir haben keine einzige Leihgabe bekommen. Meine Antwort war viel zu selbstgefällig und naiv. Das war für mich so ein einschneidendes Erlebnis, das habe ich nie vergessen.

 

[Josefine Geier kommt nach Hause und wird von Matthias zum Gespräch gebeten.]

Das ist Josefine. Ich habe sie in der nGbK kennengelernt, wo sie von 1978 bis 1990 in der Geschäftsstelle tätig war. Wir haben ungefähr ab 1986 vier Jahre lang sehr gut und eng zusammengearbeitet – bis auf das Problem, dass wir die Arbeit mit nach Hause genommen und oft nachts bis um zwei Uhr irgendwelche Probleme gewälzt haben (lacht).

 

ALW: Josefine, wie bist du damals zur nGbK gekommen?

Josefine Geier: Ich habe für den n.b.k. gearbeitet, bis ich merkte, dass die mit Springer verbandelt waren und der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus Klaus-Rüdiger Landowsky dem Vorstand angehörte. Ich habe dann in der Zeitung eine kleine Chiffre-Anzeige gesehen, dass ein Kunstverein eine_n Mitarbeiter_in sucht. Das war die nGbK. Ich habe mich beworben, wurde eingeladen und habe den Job bekommen. Lange Jahre habe ich mich, wenn ich aus dem Urlaub zurückkam, auf die Arbeit und die Leute gefreut.

ALW: Hast du wie Matthias neben deiner Arbeit in der Geschäftsstelle auch Projekte realisiert?

JG: Ja, aber erst nach meinem Weggang. Es war ganz gut, mal die andere Seite zu sehen. Ich hatte als Mitarbeiterin oft im KOA gesessen und Protokoll geführt. Als ich dann für die AG Dorothy Iannone im KOA saß, war das ein interessanter Perspektivwechsel.

ALW: Wie hast du die Situation wahrgenommen, dass immer wieder neue Mitglieder in den Verein kamen, die von den Strukturen keine Ahnung hatten?

JG: Ich glaube, dass aus diesem Dilemma kein Verein rauskommt. Die meisten treten da ein, weil sie ihr Projekt realisieren wollen. Vielleicht haben sie die Satzung mal überflogen, aber wie der Laden funktioniert, weiß höchstens die/der KOA-Vertreter_in.

ALW: Wie nimmst du heute die nGbK im Gegensatz zu früher wahr?

JG: Ich bemerke, dass ich gar keine Lust mehr habe, mir Ausstellungen anzuschauen. Für mich sind da Fotokopien an die Wand gepinnt, provokant formuliert. Früher hing da echte Kunst. Das war sinnlich. Da war der Anspruch, den Menschen Kunst visuell nahezubringen und deren soziale und politische Funktion zu erklären.

MR: Aus linker Perspektive Geschichte aufzuarbeiten, dieses thematische Alleinstellungsmerkmal hat die nGbK verloren.

JG: Ja, selbst die Kunst-Werke haben Ausstellungen gezeigt, die eigentlich in die nGbK gehört hätten, wie zum Beispiel Verbrechen der Wehrmacht 2001. Der Ursprungsgedanke der nGbK war, nicht nur ein schönes oder grausames Bild aufzuhängen, sondern Kunst zu vermitteln. Das wird heute überall gemacht!

MR: Ich weiß noch, dass wir bewusst Nicht-Akademiker ansprechen wollten. Wir haben damals Gewerkschaftsgruppen durch die Ausstellungen geführt.

JG: Ich erinnere mich, dass über die Jahrzehnte x-mal im Gespräch war, die zwei Kunstvereine zusammenzulegen – gerade wenn es einen neuen Senat gab. Es hat die beiden gerettet, dass die nGbK aufgrund ihrer Struktur etwas Besonderes war, auch für CDU-Leute.

ALW: Ich möchte noch mal nach dem Verhältnis von Geschäftsstelle und Arbeitsgruppen fragen. Das scheint mir eine feine Balance zu erfordern – einerseits sind Verständnis und Interesse zentral für die Zusammenarbeit, andererseits sollen Interessenskonflikte verhindert werden, wenn man unterbindet, dass die Mitarbeiter_innen zugleich in Arbeitsgruppen aktiv sind.

MR: Ich finde es schön, wenn Leute, die in der Geschäftsstelle arbeiten, darüber hinaus auch ein originäres Interesse und eine Identifikation mit dem Verein haben. Wir haben uns als Kollektiv verstanden. Mit der Zeit haben sich aber doch ziemliche Unterschiede eingeschlichen. Es gab welche, die gesagt haben, siebzehn Uhr, jetzt ist Feierabend.

JG: Gleichzeitig kam es regelmäßig dazu, dass die Arbeit der Geschäftsstelle von Arbeitsgruppen infrage gestellt wurde: Muss die GS so groß sein? Wir leben von Honoraren oder machen das ehrenamtlich – und die sind angestellt und kriegen ihr festes Gehalt? Das hat sich als Mitarbeiterin der GS nicht gut angefühlt.

ALW: Ich kann mir vorstellen, dass man manchmal hin- und hergerissen war zwischen dem Anspruch, nach außen ein so professionelles Bild wie möglich abzugeben, und dem Wunsch, den solidarischen Strukturen innerhalb der GS sowie den kollektiven Arbeitsweisen der AGs gerecht zu werden.

MR: Ja. Der Grundgedanke war, dass die Arbeitsgruppen von der GS beratend betreut werden, aber die inhaltliche Arbeit selbst leisten müssen. Das war manchmal ein Problem und für mich, der zwischendurch für die Presse zuständig war, schwer auszuhalten, weil die Texte zum Teil recht dröge geschrieben waren. Es war immer ein Abwägen zwischen Unterstützung zur Selbsthilfe und dem Versuch, Strukturen zu etablieren, um den Verein am Laufen zu halten, wobei klar war, dass die AGs inhaltlich autonom sind.

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