absolut modern sein – zwischen Fahrrad und Fließband

Culture technique in Frankreich 1889-1937

Fr, 21.3. – Di, 20.5.86 Typ: Ausstellung, Publikation

In Zusammenarbeit mit der Staatlichen Kunsthalle Berlin

Ort(e):

Staatliche Kunsthalle Berlin, Budapester Straße 46

Arbeitsgruppe

Christoph Asendorf, Günther Burrichter, Renate Flagmeier, Margret Kampmeyer, Lore Kleiber, Ingo Kolboom, Joachim Krause, Hans Joachim Neyer, Benno Schnatz, Rolf Senn, Liselotte Steinbrügge, Sabine Vogel

Aus der Pressemitteilung:

‘Man muß absolut modern sein’, diesen emphatischen Ausruf setzt Rimbaud 1873 der ‘Hölle’ der bürgerlichen Welt entgegen, die zwei Jahre zuvor über die Pariser Commune triumphiert hat. Rimbauds Slogan wird zur richtungweisenden Metapher für die französische Avantgarde in Literatur und Malerei, die sich nach der Jahrhundertwende um eine neue Bild- und Zeichensprache bemüht, von Picasso bis Léger, von Appollinaire bis Aragon, Breton und Eluard.

‘Absolut modern sein’ wollte auch ein kleiner Teil der französischen Industriebourgeoisie Ende des 19. Jahrhunderts. Der Eiffelturm, Symbol der Pariser Weltausstellung von 1889, markiert die Herausforderung französischer Ingenieurarbeit an die internationale Konkurrenz. 1889 beginnt in Frankreich die zweite Industrialisierung: Foto, Fahrrad, Film und Auto, Fließband, Flugzeug zeigen, daß Frankreich inmitten landwirtschaftlicher Strukturen Pilotindustrien entwickeln kann, die Weltspitze sind: Bis zum ersten Weltkrieg ist Frankreich der Welt größter Automobilhersteller, danach hinter den USA an zweiter Stelle. Aus Amerika übernehmen Citroen und Renault die modernsten industriellen Fertigungsmethoden – sie haben umwälzende Folgen: Taylorismus und Fordismus produzieren und fordern auch neue soziale Strukturen. Der angelernte Fließbandarbeiter tritt auf den Plan. Der Widerspruch zwischen avancierter Industrie und veralteter Sozialstruktur spitzt sich zu und führt in Frankreich zwei Generationen später als in Deutschland zu explosionsartigen Lösungsversuchen: Erst die Volksfront von 1936 bringt eine rechtliche Regelung der Forderungen der modernen Industriearbeiterschaft.

Die künstlerische Avantgarde reagiert schon frühzeitig auf die neuen technischen Gegebenheiten, die die sinnliche Wahrnehmung verändern: die Chronophotographie von E. J. Marey z. B. inspiriert Kubisten wie Duchamp, Willon und Kupka zu gleichfalls ‘laufenden’ Bildern; die Blaustichigkeit der massenhaft fotomechanisch reproduzierten Bildpostkarten vom Anfang des 20. Jahrhunderts assoziiert Picasso in seiner ‘Blauen Periode’; Léger bewundert die glatten Flächen eines Flugzeugpropellers und die präzise gearbeiteten Kolben, Zahnräder und Zylinder der Fabrikmaschinen. Die modernen Objekte aus Fabrik und Kaufhaus ziehen nicht nur in den bürgerlichen Alltag und Haushalt ein, sondern auch in die Ateliers und Schreibstuben der künstlerischen Avantgarde. Sensibel reagieren die Künstler auch auf die explodierenden sozialen Fragen: Die Weltwirtschaftskrise, die Volksfront werden unterschiedlich, aber immer engagiert verarbeitet. Durch vielfältige Beiträge illustriert der Katalog die weite Palette der technischen, sozialen und kulturellen Brennpunkte der Geschichte Frankreichs zwischen Belle Epoque und Front Populaire, zwischen Eiffelturm (1889) und Picassos ‘Guernica’ (1937).

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