Verlust

2021 Typ: Glossar

Es mutet sicherlich traurig an, Verlust als Bestandteil eines Glossars zu Urbaner Praxis auszuwählen. Doch viele der Orte, an denen ich in städtisches Handeln involviert war, existieren nicht mehr.
Die Mission, ein 1997 in Hamburg gegründeter, von Wohnungslosen mit Künstler_innen selbstverwalteter Ort, musste bis zur Erschöpfung umziehen, weil die benachbarten Ladenbetreiber sich belästigt fühlten. Der Kaispeicher A, in dem wir 2002 mit ready2capture einen Sommer lang ein alternatives Informationszentrum zur Hamburger Hafen-City betrieben, beherbergt heute die Elbphilharmonie. Die Brachflächen des temporären Skulpturenparks Berlin_Zentrum auf dem ehemaligen Mauerstreifen in Berlin Kreuzberg wurden ab 2012 u. a. mit den Fellini Residencies versiegelt. Der Berliner Schlossplatz ist wieder ein Schlossplatz, nachdem er vieles andere war und hätte werden können.
Verluste zeigten sich in vielen der Projekte, an denen ich beteiligt war, aber auch in den Biografien der Teilnehmenden. Verlust der Wohnung, Verlust der Arbeit, damit einhergehend Verlust an gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten. Verlust von identitätsstiftenden Fixpunkten als Folge von Transformationsprozessen oder Migration.
Urbane Praxis, wie ich sie verstehe, zielt u. a. auf die gemeinsame Gestaltung von Orten oder Aktionen ab, an denen viele dieser Verluste einerseits als Ergebnis kapitalistischer Praxis lesbar werden, gleichzeitig aber im gemeinsamen Tun alternative Handlungsmöglichkeiten zumindest temporär praktiziert werden können. Das unterscheidet mein Verständnis von „Verlust“ von einer reaktionären Verwendung des Begriffes, wenn z. B. der Wiederaufbau eines Schlosses mit dem „Schließen einer Wunde im Stadtbild“ gerechtfertigt wird und damit ein vermeintlicher Status Quo von Stadt bzw. Gemeinschaft reinstalliert werden soll.
Ich möchte den Begriff des Verlustes in dieses Glossar einbringen, weil ich denke, dass er klar macht, mit welchen Belastungen zu rechnen ist, wenn man sich auf Urbane Praxis einlässt und weil ich noch viel mehr klarstellen möchte, dass ich es für einen der größten Verdienste von gelungener Urbaner Praxis halte, Kooperationen und Orte zu schaffen, an denen man mit Verlusten nicht alleine bleibt, was mir in einer von Siegermentalitäten und -ästhetiken bestimmten Öffentlichkeit unverzichtbar scheint.

Jelka Plate studierte bildende Kunst und Bühnenbild an der HfbK Hamburg. Ihre Arbeiten basieren auf lnterviews und Recherchen. So entstand „A very merry unarchitecture to you“ im Skulpturenpark Berlin_Zentrum mit Anwohner_innen und Beteiligten einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Für „Rekonstruktion des Berliner Schlossplatzes nach Plänen von 5000 Jahren vor unserer Zeit“ sprach sie mit einem Vegetationshistoriker und Passant_innen an der Schlossbaustelle.