Diedrich Diederichsen
„Die Selbstdarstellung war mein Hauptproblem“
Diedrich Diederichsen, Professor für Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst an der Akademie der bildenden Künste Wien, war von 2010 bis 2014 im Präsidium der nGbK. Er setzte sich dafür ein, dass die Kommunikation der nGbK neugestaltet wurde, woraufhin sie ein neues Logo und eine neue Schreibweise bekommen hat. Das Gespräch fand am 21.12.2023 in Berlin statt.
Anna-Lena Wenzel: Bevor wir inhaltlich einsteigen, möchte ich zunächst wissen, wann du Mitglied wurdest und ob du es heute noch bist?
Diedrich Diederichsen: Ich bin noch Mitglied und wurde Mitglied, weil Anja [Corcilius] mich gefragt hat, ob ich was im Präsidium machen will. Normalerweise bin ich nirgendwo Mitglied [lacht]. Aber ich bin es dann geblieben. Anja kannte ich schon lange aus anderen Kontexten und sie hat auch mal ein Projekt in der nGbK gemacht, für das ich einen Text geschrieben habe. Die war damals in irgendeiner Gruppe [Revisiting Home] und damit war sie auch in diesem …
ALW: KOA.
DD: Durch ihr Projekt hatte ich mit der nGbK zu tun, ansonsten kannte ich nur Frank Wagner schon lange.
ALW: Wie war es im Präsidium?
DD: Es war weniger unbekannt oder ungewohnt, als ich es erwartet hatte. Ich kam mit den beiden anderen Präsidiumsmitgliedern gut zurecht. Einmal im Monat mussten wir zu Ingrid Wagner und gut Wetter machen. Das war unsere Gesprächspartnerin in der Senatsverwaltung. Neben den Sitzungen war es der Hauptjob fürs Präsidium, regelmäßig zu ihr zu gehen und über die Lage zu reden.
Besondere Probleme hatte ich da nicht, aber es gab ein grundsätzliches Problem in der Kommunikation. Ich fand zwar vieles, was die nGbK machte, gut und interessant, aber der Verein hatte sich in so eine Kreuzberger Ecke verzogen und zelebrierte in seiner Kommunikation dann so altmodische Formate des „Frechen“, „Originellen“ und „Renitenten“, die wirkten auf mich wie Kita-Namen oder Rock-Kabarett. Gerne auf Englisch. Nicht in den Inhalten der Ausstellungen, die waren ja ganz unterschiedlich und reichten von Aids-Aktivismus bis zu vielen anderen Fronten, aber in der Selbstdarstellung, die war mein Hauptproblem. Das wirkte sich auch auf andere formale Fragen aus, die ja in letzter Instanz immer ein Teil der Inhalte sind. Grundsätzlich finde ich, dass Bewegung immer nötig ist, weil sonst die Zerfiedlung oder Spezialisierungsexzesse – das ist ja die allgemeine Schwerkraft hin zu Nische – überhandnehmen, da muss man immer etwas entgegensetzen.
ALW: Du hast dann einen Prozess angeschoben, der in der Ausstellung Machen die immer (noch) das Gleiche? im Dezember 2012 gipfelte, wo sechs Vertreter_innen kommunikativer Praxis, wie es in der Pressemitteilung heißt, eingeladen wurden, „sich über die Außendarstellung von Kunstinstitutionen wie der NGBK Gedanken zu machen“. Das Ganze wurde von einem Veranstaltungsprogramm flankiert, bei dem du auch moderiert hast.
DD: Es gab eine ganze Reihe von Ideen zur Außendarstellung und das wurde über Veranstaltungen kommuniziert. Es gab eine Art Symposium, wo unter anderem Christian Philipp Müller eingeladen war, und Michael Dreyer und viele andere Leute, die ich damals kannte. Ich hatte durch Stuttgart, wo ich noch an der Merz-Akademie war, bzw. gerade nicht mehr war, Kontakt mit vielen Leuten, die mit Kommunikations- und Grafikdesign zu tun hatten. Ich hatte aber auch Michael Schirner gefragt, für dessen Agentur ich früher einmal gearbeitet hatte.
ALW: Wie habt ihr die Leute eingeladen, die das neue Logo gestalten sollten?
DD: Das war so Brainstorming-mäßig: Alle möglichen Leute kannten irgendwelche Leute und haben sie gefragt. 1 Das war weitgehend aus dem Umfeld der aktuell dort aktiven Personen sowohl aus der Geschäftsstelle als auch aus dem Präsidium. Es war jetzt nicht der attraktivste Job, es bedeutete Arbeit und wenig, wenn überhaupt, Geld. Das war auch Konkurrenz, weil alles ausgestellt wurde, was eingereicht wurde. Dann gab es ein kompliziertes Verfahren mit Jury und ich glaube ausgewählt wurde eine Kombination aus mehreren.
ALW: Nicht nur Michael Dreyer?
DD: Ich glaube nicht, weiß es aber nicht mehr genau. 2 Von ihm stammt die sehr gute Idee, die in diesem Symposium auftauchte, zu sagen, die nGbK ist eigentlich eine Akademie. Die produziert unglaublich viel gedrucktes Papier und Texte, die diskutiert werden. Im Grunde sind das genau die Tätigkeiten einer intensiv arbeitenden Ausbildung. Man kann empirisch zeigen, dass jede Menge Leute, die in den Arbeitsgruppen waren, anschließend Kurator_innen geworden sind, auf die eine oder andere Weise. Die zweite Sache war die neue Schreibweise: „bildende“ und „neue“ wurden klein geschrieben, „Gesellschaft“ und die „Kunst“ groß [zuvor wurde alles großgeschrieben]. Ich meine, dass der Look von Dreyer kam und bei den alltäglichen Dingen wie Briefpapier auch noch andere Leute mitgeredet haben. Ich weiß noch, dass er nicht ewig Zeit hatte, das weiterhin zu implementieren. Das ist dann einfach von der Geschäftsstelle angewandt worden.
ALW: Das erste Logo, das Gernot Bubenik gestaltet hat, ist aus einem kollektiven Prozess heraus entstanden. Gab es Überlegungen, erneut so einen kollektiven Prozess anzuschieben? So wie du es beschreibst, gab es auch dieses Mal ein Ineinandergehen.
DD: Das war weniger bei der Ausschreibung als später in der Jury Thema. Dreyer hat ja überhaupt nur mitgemacht, weil er so ein Bubenik-Fan war. Weil ihn das so interessiert hat. Das hat schon eine Rolle gespielt, auch dieses mehrteilige Kommunikationsmodell.
ALW: Es gibt einen Text von Dreyer, wo er seine Ideen beschreibt, da spricht er von Bubenik und dessen frühen kybernetisch-poetischen Grafiken. 3
DD: Ja, er hat sich schon immer mit der Frage beschäftigt, was linke Kommunikation ist. Ein Thema, mit dem sich wenige Leute beschäftigt haben. Meistens kommt der politische Anspruch von der Kunst und nicht vom Design. Und wenn er vom Design kommt, dann landet er nie bei der Kunst, sondern bleibt eine interne Debatte. Es gibt aber einen Reader zu Visueller Kommunikation von 1971 [Visuelle Kommunikation. Beiträge zur Kritik der Bewusstseinsindustrie], worüber ich mal einen längeren Text geschrieben habe: im Zusammenhang mit der Visual-Culture-Debatte, die in den späten 90ern lief und etwas Ähnliches wollte. Um 1970 ging es um eine Reform des Schulunterrichts: Der Kunstunterricht sollte durch Visuelle Kommunikation ersetzt und die Jugendlichen für die Lügen der Werbung sensibilisiert werden. Visuelle Kommunikation war auch in der nGbK Thema – es gibt eine Publikation aus dem Jahr 1977 [Aufschlüsse über die Wirklichkeit – Projektstudium Visuelle Kommunikation]. Ich fand es ziemlich inspirierend, durch den Zugang zum Archiv zu sehen, was es alles gegeben hat. Am allerbesten fanden wir diese grafische Übersetzung der Mehrwerttheorie aus den frühen 70er Jahren [Funktionen bildender Kunst in unserer Gesellschaft, 1970/71].
An der Visuelle-Kommunikation-Bewegung hat mich ja interessiert, dass sie eher in Richtung Gestaltung und Design als in die Richtung „revolutionärer Kunst“ à la früher Immendorff ging, der den Parteitag der KPD malt – das passte zu einigen Diskussionen der 90er: Kunst als Dienstleistung und so. Als wir uns 2010 damit beschäftigt haben, war das aber alles schon weit, weit weg. Diese Vorgeschichte war verschwunden. Stattdessen war ein Geist eingezogen, der für mich eher stadtteilfestartig war mit viel „preaching to the converted“. Und eine wie gesagt etwas kindliche Protesthaltung. Vor allem in der Umsetzung der Ausstellungsideen in Kommunikationsmittel. Es gab eine starke Nostalgie, wobei das viel mit einer Wessi-Nostalgie zu tun hatte: zurück in die 80er Jahre. Das in jeder Hinsicht größer gewordene Berlin war da nicht angekommen.
ALW: Vor allem der Osten nicht.
DD: Genau, wobei der Osten auch im Osten immer weniger präsent war. Am Anfang war da auch mehr Selbstbewusstsein, etwa, dass man nicht die Selbstverständlichkeit akzeptieren wollte, mit der Englisch überall als zweite Fremdsprache eingeführt wurde.
ALW: Wie waren die Reaktionen auf die Kommunikations-Initiative?
DD: Es gab einige, die begrüßten das. Die Leute, die regelmäßig etwas machten, kannten das Problem. Die sahen das vielleicht nicht genauso, aber sie wussten, worüber man redete. Es gab aber auch welche, die das sehr kritisch sahen, die wollten weiterhin eher Stadtteilarbeit machen.
ALW: Im Text zum Projekt heißt es, dass euch damit die Quadratur des Kreises gelungen ist. Es gibt eine Kontinuität und gleichzeitig eine Anpassung an das Berlin der 2010er Jahre. Man gibt sich ein neues Aussehen und bleibt gleichzeitig identifizierbar und pendelt damit zwischen Stolz auf das basisdemokratische Prinzip und dem Wunsch nach Veränderung und Professionalisierung. Haben sich die Leute am Begriff Professionalisierung gerieben? Es gab ja immer auch eine starke Abwehr gegen neoliberale Tendenzen und Begrifflichkeiten.
DD: Professionalisierung ist ja nicht zwingend neoliberal, es gibt ja auch kommunistische Profis. Die ewige Laienpriesterei kann man umgekehrt auch sehr protestantisch finden, vor allem wenn sie mit der Frömmigkeit praktiziert wird, die sie in der nGbK manchmal erreichte. Und ja, man ist umgeben von anderen Institutionen, mit denen das Publikum kommuniziert. Die machen alle auf eine bestimmte Weise auf sich aufmerksam und halten sich im Gespräch und generieren Diskurse. Die nGbK hat zwar einige Mittel und Wege, die nicht unmittelbar mit Kommunikationsstrategien zusammenhängen, wie Vernetzt-Sein, Leute-Kennen, aber ganz darauf zu verzichten, dass man den Leuten auffällt und auch auf der Ebene der Form etwas behauptet, fand ich problematisch.
ALW: Dass man als Präsidiumsmitglied so etwas wie ein neues Logo anstößt, scheint mir eher ungewöhnlich. Wie hast du deinen Gestaltungsspielraum wahrgenommen?
DD: Dass das ungewöhnlich war, wusste ich quasi nicht. Ich hatte ja keine Vergleichsmöglichkeiten. Ich hatte schon das Gefühl, dass Katja [von der Bey] und Leonie [Baumann, Geschäftsführerin 1991-2011] interessiert an Aktivitäten waren und sich ihr Selbstverständnis nicht auf das Schiedsrichterinnendasein beschränkte, sondern einschloss, die nGbK in eine bestimmte Richtung zu bringen. Die Richtung war auch von deren Seiten eben, zu professionalisieren, ein bisschen kompakter aufzutreten, weniger alleine diejenigen sein, die dafür bekannt sind, dass sie vielstimmig und kleinteilig agieren. Außerdem dachte ich, dass man seine Zeit verschwendet, wenn man da nur sitzt und moderiert, zumal ich das auch nicht so gut konnte. Es gab Konfliktlinien, wo ich keine Lust hatte, mich darauf einzulassen und Position zu beziehen, weil es sich um strukturelle Probleme handelte, da ist es schwer zu sagen, du bist im Recht. Insofern war es das einzige, was man tun konnte [lacht].
ALW: Du warst vier Jahre im Präsidium?
DD: Ja, ich wurde einmal wiedergewählt und bin dann am Ende der zweiten Periode gegangen. Wer war denn noch die Dritte im Präsidium, als ich angefangen habe?
ALW: Cornelia Reinauer.
DD: Ja, das war so ein Triumfeminat, die drei: Leonie, Katja und Cornelia, die waren sehr eingespielt. Reinauer war auch Politikerin, sie war für die Linke Bezirksbürgermeisterin gewesen. Es gab dann ein Ereignis, das alles umwarf und weswegen auch Katja ging. Ich habe dann mit der Verzögerung von einem Jahr gesagt, ich will nicht mehr.
ALW: Was war das für ein Konflikt?
DD: Es war kein inhaltlicher Konflikt, und ging weder um den strukturellen Konflikt dieser Organisationsform zwischen Geschäftsstelle und den Gruppen noch um den konstanten Konflikt um Geld. Es ging um eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle und ihr Arbeitsverhältnis. Aber ich glaube, ich darf da als ehemaliger Arbeitgebervertreter aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht mehr ins Detail gehen. Das schaukelte sich zu einem dann auch inhaltlich aufgeladenen Konflikt zwischen GS und KOA hoch und führte dazu, dass Katja wegen des Verhaltens einiger Leute gesagt hat, sie geht, und auch Karin Rebbert [Geschäftsführerin 2011-2015] früher oder später ging.
ALW: Ich komme noch einmal auf die Professionalisierung aus Perspektive der AGs zurück. Da gibt es oft ungleiche Erfahrungswerte und Professionalisierungsgrade, was das Ausstellungsmachen betrifft. Doch woran bemisst man eigentlich Professionalität? Die aktivistische Arbeit, aus der viele kommen, ist auch wertvolles Wissen, genauso wie die Erfahrungen in Aushandlungsprozessen, die dort gemacht werden. Es ist eine grundsätzliche Frage für die Institution, wie sie sich definiert. Muss sie sich nach außen hin ausrichten, oder kann sie auch stolz sein auf das, was sie hat?
DD: Ich meine, die nGbK ist eh wahnsinnig stolz auf ihre Struktur gewesen. Um es in der Sprache der Werbung zu sagen: Das ist ihr USP. Wir sind die, bei denen die Entscheidungen so zustande kommen!
Das Problem ist, dass es bei einzelnen Mitgliedern und Gruppen Interessen gab, die nicht offen diskutiert wurden. Es gab Leute, die wollten Kuratorinnen werden und andere, die sich rein als Aktivistinnen gesehen und gesagt haben, die nGbK ist ein Outlet neben verschiedenen anderen, mit der Möglichkeit, eine geringfügige Unterstützung zu bekommen. Die hatten Interesse an denselben Inhalten, nur mit anderen individuellen Perspektiven. Es gab Ausstellungen, da hatten Personen den Ehrgeiz, die Sachen auf eine bestimmte Weise zu hängen, aber andere wollten, dass alle den gleichen Platz bekommen. Es gab keine Kultur, um diesen Konflikt zu diskutieren. Professionalität bedeutet für mich, so etwas aussprechen zu können und den Kontext – also das Berlin im 21. Jahrhundert – nicht auszublenden. Man machte damals Ausstellungen – und keine Zeitschrift und kein Buch.
ALW: Wobei die Formate ja sehr unterschiedlich sein können. Es gibt Projekte, die als Veranstaltungsreihe oder Website angelegt sind.
DD: Das war auch zu meiner Zeit ein Mantra, dass das möglich wäre, aber es passierte kaum. Es passierten Ausstellungen. Es war eher eine vergessene Praxis, dass es auch anders geht. Man hat gestaunt, dass es 1975 ein Projekt gab, bei dem die nichts anderes gemacht haben, als ein Jahr nur geforscht und am Ende gab es eine Broschüre.
ALW: Das finde ich interessant, weil es ab 2020 das zweijährige Fördermodul zu Forschung gab und das Berliner Förder-Programm für Künstlerische Forschung in der nGbK geboren wurde. Da wurde auch noch einmal angeknüpft an die Forschungsprojekte in der nGbK selbst.
DD: Das ist erfreulich. Zu meiner Zeit hatte der Wunsch, Ausstellungen zu machen, viele ergriffen. Es war der große Kurations-Boom, der auch die Aktivist_innen erwischt hat. Das war das coolste Medium. Das wollten alle.
ALW: Was wollen denn heute alle? Du kannst das in Wien ja direkt verfolgen.
DD: Die wollen immer noch alle Ausstellungen machen. Eher mehr als vorher noch. In Wien sind in den letzten zehn Jahren um die Akademie herum diverse neue Ausstellungsorte für Studierende entstanden. Es gibt aber auch eine forcierte Symposiumskuratiertätigkeit und Einladeaktivismus.
ALW: Ich beobachte allgemein einen Trend zu einer konsumierenden Haltung, bei der man keine strukturelle Carearbeit leisten muss: Man macht Car Sharing und wohnt in eingerichteten Appartements. Ich befürchte, dass das Verständnis und die Bereitschaft für strukturelle Arbeit wie in der nGbK, wo nicht alles fertig bereitgestellt ist und man sich aktiv einbringen kann und muss, abnimmt. Teilst du diese Beobachtung?
DD: Ich glaube, das ist nicht erst seit gestern eine Konfliktlinie innerhalb der Bildenden Kunst. Denn die Bildende Kunst ist von allen Künsten die global mobilste. Erstmal ist mehr Geld da, zweitens gibt es keine Sprachbarrieren wie anderswo, drittens gibt es keine feststehenden Strukturen in so großen Maße. Die Tendenz, sich irgendwo hineinzubegeben und eine Situation kurz zu bespielen und aufzuladen, zu nutzen wie einen Roller, war immer schon ein Problem von Aktivismus und aktivistischer Kunst. Es gibt ja das Ziel, nachhaltig zu wirken, was oft darauf hinausläuft, dass man dann drei Monate statt drei Wochen wo ist. Aber es gibt wenige Modelle, in denen es wirklich längerfristig ist. Die meisten Community-Art-Ideen dauern vielleicht ein Semester lang, wobei die letzte documenta voll von Projekten war, die alle längerfristig sein wollten. Doch eine Lösung, die zu einem neuen Format geführt hätte, sehe ich nirgendwo, nur das Gespür dafür und das Bedürfnis es zu benennen und zu thematisieren.
ALW: Für mich geht damit auch eine bestimmte Definition von künstlerischem Verständnis und Arbeit einher – sind es eher kommunikative Prozesse und die Arbeit an Strukturen oder ist es das autonome Schöpfen?
DD: Ich würde ja sagen, beides ist jeweils zu wenig, aber das sind Fragen, die über das, was eine Institution kann, hinausgehen. Wenn man als Institution in einer Stadt agiert, ist die Frage, was der relevante Rahmen ist. Wenn es nicht mehr Kreuzberg ist, sondern ganz Berlin, dann müsste man sich das überlegen. Mit dem neuen Standort ist ja jetzt die ganze Kreuzberger Identität weg!
ALW: Wenn ich an das Projekt Im Dissens? Nachbarschaft, Gentrifizierung und künstlerisches Engagement in der Oranienstraße (2019) denke, dann werden anhand der Oranienstraße Themen verhandelt, die die ganze Stadt betreffen und globale Ausmaße haben. Ich empfinde die nGbK nicht so lokal, wie du sie beschreibst.
DD: Damals war sie sehr lokal. Außerdem mag ja Gentrifizierung ein größeres Problem sein, es wird halt nur immer wieder anhand derselben Fälle aufbereitet: Kreuzberg, East Village, Ottakring. Diese Diskurse sind ja seit den frühen 90ern, teilweise noch länger „around“ und weidlich dokumentiert.
ALW: Ich hänge noch ein bisschen an dem Begriff Akademie, den Dreyer stark gemacht hat, indem er die nGbK als Akademie bezeichnet hat. Wir haben letztes Jahr die Ausstellung Klassenfragen gemacht und uns in diesem Zusammenhang viel mit Zugänglichkeit von Kunstinstitutionen und Akademien beschäftigt, also mit der Frage, wie man ins Kunstfeld kommt. Beim Begriff Akademie verspüre ich eine Ambivalenz, weil ich das Gefühl habe, sie steht für eine Bildungstradition und -institution, die sehr viel Vorwissen voraussetzt, was ja eigentlich im Widerspruch zum niedrigschwelligen Selbstverständnis der nGbK steht. Habt ihr über diesen Aspekt auch diskutiert?
DD: Ja, allgemein schon, wobei ich den altsubkulturellen Stil der damaligen nGbK auch nicht so wahnsinnig einladend für Außenstehende fand, aber das wurde eher allgemein diskutiert, nicht im Zusammenhang mit dem Akademiebegriff. Die Idee war ja nicht, dass die nGbK für eine Akademie gehalten werden soll, sondern dass sie de facto die Wirkung einer Akademie hatte und dass das eine Möglichkeit ist, sich ihre Geschichte zu erschließen, als einen Ort des Wissens, der Leute und Institutionen über die interne Geschichte hinaus geprägt und beeinflusst hat.
ALW: Als ich die Texte und die Slogans auf den Plakaten zu Machen die immer (noch) das Gleiche? gelesen habe, ist mir die Sprache aufgefallen. Ich mochte, dass es so einen selbstironischen, spielerischen Unterton und Sprachwitz gibt. Im Vergleich dazu klingt heute alles sehr ernst.
DD: Die Idee mit der Akademie war auch ein Witz oder eine Provokation. Es ging darum, zu sagen, dass das ganze Formulieren von Texten, Programmen und Titeln und Ausstellungsbeschreibungen zwar kurzfristig einem kommunikativen Ziel dient, aber eigentlich eine Ausbildung im Sinne einer Reihe von Übungen ist.
ALW: Mit der nGbK als Ausbildungsstätte kann ich viel anfangen, für mich ist sie auch ein Freiraum, in dem man Dinge ausprobieren kann.
Gibt es Dinge, die du gelernt hast in deiner Präsidiumszeit, die später für dich an der Akademie von Nutzen waren, wie zum Beispiel Konflikte zu moderieren?
DD: Hm, moderieren habe ich gar nicht besonders gut gekonnt oder gemacht. Die Konflikte fanden statt und ob ich was zu deren Verlauf beigetragen habe, im positiven wie negativen Sinn, kann ich nicht sagen.
Ein großer Vorteil der nGbK war, dass man wenigstens die Orte kannte, an denen alles adressierbar war, weil man sich bei den Sitzungen stritt und weniger hintenrum. Es gab ein relativ reguliertes Podium. Zwar gab es auch das Verstecken von Interessen hinter Slogans und Inhaltlichkeit, aber es wurde im guten Sinne traditionell diskutiert, wie man es aus der alten Linken kannte.
ALW: Was du jetzt beschreibst, sind die internen Prozesse, als Präsidium wirkt man aber auch nach außen, trifft Politiker_innen etc. und lernt ein gewisses Sprechen und Performen.
DD: Ja, aber die Auftritte nach außen und das Werben für die Institution erschöpfte sich meist in den erwähnten Besuchen bei Ingrid Wagner und ihren Kolleg_innen; da habe ich keine besonderen Erfahrungen gemacht. Manchmal fand ich es auch ganz angenehm, zwischen den Stühlen zu sitzen, obwohl es schon Situationen gab, in denen man als Präsidium Partei ergriff, aber es hat mich weniger persönlich belastet als andere. Ich beneidete Karin nicht um ihre Position als Geschäftsführerin. Die ist hart angegangen worden.
ALW: Ich erinnere mich an recht harsche Diskussionen und strategische Bündnisschließungen bei den Hauptversammlungen.
DD: Da gab es teilweise recht aggressive Interventionen. Aber da habe ich eher als Mitglied versucht, etwas zu sagen, nämlich bestimmte Projekte zu stärken. Präsidiumstechnisch war die einzige Aufgabe, die Diskussion aufs Wesentliche zu beschränken.
ALW: Der Trend geht ja zu Safe Spaces. Ich finde, die nGbK ist eher ein Übungsfeld, um zu lernen, solche Konflikte auszuhalten.
DD: Ja, es gab Situationen, wo es nicht um das Ausdiskutieren ging, sondern darum, jemandem zu schaden. Das habe ich nicht nur einmal auf den HVs erlebt. Ein Safe Space ist die nGbK nicht.
ALW: Was auch Vorteile hat.
DD: Ja.
- Eingeladen wurden: anschlaege.de, C-D-A-P (Ana Lessing / Alexandra Bald / Merle Vierck), Michael Dreyer, Achim Lengerer, Schirner Zang Institute, Suse Weber.↩
- Im Pressetext von 2013 heißt es: „Eine Gruppe aus internen und externen Expert_innen befasste sich mit den Vorschlägen und versuchte aus den Arbeiten einzelne Maßnahmen zu isolieren, die umzusetzen wären. Sie wählte eine Person aus, die dies übernehmen sollte: Michael Dreyer, dessen Vorschläge im Verein und darüber hinaus sehr gut angekommen waren. Dreyer erklärte sich bereit, aus seinen Ideen und einigen anderen Anregungen ein neues Darstellungskonzept für die NGBK zu entwickeln.“↩
- Michael Dreyer: fünf: we’ve forgotten more than they’ll ever know about it all, für: Machen die immer (noch) das Gleiche? NGBK Berlin 2012↩