Gabriela Exner
„Im Prinzip haben wir festgestellt, dass wir den Osten neu erklären müssen“
Gespräch von Anna-Lena Wenzel mit Gabriela Exner am 6.12.2023 per Zoom
Gabriela Exner ist Teil der Arbeitsgruppe Monstera. Das Projekt wurde im Sommer 2022 auf der nGbK-Hauptversammlung (HV) gewählt und widmet sich Erinnerungslandschaften der Umerziehung, sprich Spezialkinderheimen, in der DDR. Exner, die eine Zeitzeugin ist, verwendet für das Projekt das Pseudonym Lucia Johnson. Aufgrund verschiedener Gründe konnte Monstera nicht realisiert werden, doch gab es eine Formatänderung, die vom Koordinationsausschuss (KOA) beschlossen wurde, so dass das Projekt in abgewandelter Form realisiert werden soll.
Gabriela Exner: Bevor wir anfangen zu sprechen, möchte ich sagen, dass ich nur für mich spreche. Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, ich vertrete eine Gruppenmeinung.
Anna-Lena Wenzel: Mir ist aufgefallen, dass du im Antrag das Pseudonym Lucia Johnson verwendest. Ist es ein Pseudonym, das du dir nur für dieses Projekt zugelegt hast oder hast du es schon in anderen Zusammenhängen benutzt?
GE: Nein, ich habe mir das Pseudonym für die Öffentlichkeitsarbeit angeschafft, wollte eine Wahl haben, ob jemand, der mich sucht, mich sofort mit den hashtags #Spezialkinderheim #Umerziehung findet, oder ob ich in einem davon unabhängigen Kontext auftauche. So habe ich mir den Projektnamen Lucia Johnson gegeben. Bei allen Begegnungen mit Ehemaligen habe ich jedoch sofort meinen Klarnamen offenbart.
ALW: Seit wann bist du Mitglied der nGbK? Und wie seid ihr als Arbeitsgruppe auf die nGbK gekommen?
GE: Ich bin seit 2022 Mitglied und hatte vorher noch nie etwas von der nGbK gehört. Wir hatten das Projekt und haben überlegt, mit wem wir es realisieren und woher Fördermittel kommen könnten. Da die Gruppe interdisziplinär war, mit einer Theaterfrau, einer Bildenden Künstlerin, einem Tänzer, einem Grafikdesigner und mir als Zeitzeugin, war die nGbK, mit ihrem Interesse und der Offenheit für interdisziplinären Gruppen, spannend für uns. Ein zweiter Punkt, der uns sehr wichtig war, ist die Struktur der basisdemokratischen Arbeit. Dazu möchte ich sagen, wir sind alles Menschen, die einen Osthintergrund haben und eine bestimmte Art von kollektiven Gedanken teilen. Dieser Hintergrund hat uns nach Orten mit wenig Hierarchie und nach einer Haltung, die erst einmal schaut, was die einzelnen Personen mitbringen, suchen lassen. Zudem hatten wir im Kopf, dass die Basisförderung erst einmal steht und dass es gute Räume gibt. Natürlich auch zwei wichtige Aspekte für eine Ausstellung.
ALW: Kannst du noch etwas dazu sagen, wie sich die Gruppe zusammengefunden hat und mit welchem Impuls? Stand im Vordergrund, zu einem bestimmten Thema zu arbeiten oder gemeinsam ein Projekt zu realisieren?
GE: Das Thema stand im Vordergrund. Wir haben irgendwann festgestellt, dass es keine Informationen gibt. (Was sich im Nachhinein als falsch dargestellt hat. Wir kannten sie nur noch nicht.) So haben wir angefangen, uns mit dem Thema „Repressive Umerziehung in Spezialkinderheimen“ zu befassen. Wir haben uns gefragt, warum es zu all den Einrichtungen, die es gab und von denen wir wussten, keinerlei Momente der Erinnerung gibt? Wir wollten Sichtbarkeit schaffen und sind auf die Idee gekommen, eine Ausstellung zu machen. Dann haben wir uns gefragt, wer da spannenderweise mitarbeiten könnte und haben Mitstreiter*innen gefunden, darunter meinen Sohn Oliver, wir haben überlegt, dass das transgenerative Trauma auch eine Sichtbarkeit braucht, weil es mittlerweile nicht nur Kinder, sondern auch Kindeskinder gibt, und sich die Traumata fortschreiben.
ALW: Ich weiß noch, dass mich bei eurer Vorstellung des Projektes auf der HV deine Zeitzeuginnenschaft und Präsenz sehr beeindruckt haben, und gleichzeitig konnte man spüren, dass ihr viel Sorgfalt in den Antrag gesteckt habt. Man merkte, dass ihr euch Gedanken gemacht habt, wie ihr mit der Institution zusammengehen könntet, z.B. in Form der vorherigen Ausstellungen, auf die ihr euch im Antrag bezogen habt. Dieser Eindruck hat sich im KOA fortgesetzt, wo ihr einmal sogar alle zusammen teilgenommen habt und wo ihr nicht nur immer da wart, sondern euch auch aktiv eingebracht habt. Ich hatte das Gefühl, ihr habt euch so richtig eingelassen auf die Struktur. War euch klar, dass man etwas bekommt, sich dafür aber auch einbringen muss?
GE: Das ist tatsächlich Fluch und Segen. Dass wir das Projekt sehr ernst genommen haben, war auf jeden Fall so. Es war für uns alle eine Herzensangelegenheit, die wir mit sehr viel Arbeit und Ernsthaftigkeit angegangen sind. Dieses Ernstnehmen war dem geschuldet, dass wir gesagt haben, wenn wir mitgestalten wollen, braucht es auch unsere Mitarbeit. Aber es hat überfordert. Bis wir die Struktur erfasst hatten und wussten, wie es geht und was wichtig ist, ist viel Zeit vergangen. Hinzukommt, dass wir als Personen ganz unterschiedlich ticken. Wenn fünf Personen aufeinandertreffen, die vorher noch nicht miteinander gearbeitet haben, ist das herausfordernd. Auf der anderen Seite gibt es eine Institution, die klare Strukturen hat, die aber nicht so klar ersichtlich sind. Für die Arbeitsgruppen ist es schwer, eine Idee davon zu kriegen, was an Unterstützung da ist. Du musst erst die Struktur verstehen, dann musst du dich trauen zu fragen. Manchmal waren wir unsicher, wie die Rückmeldungen gemeint sind. Das hat auch damit zu tun, dass wir alle von herkömmlichen Kulturinstitutionen geprägt und ein bisschen vorgeschädigt sind. Da wird anders kommuniziert. Es ging einfach immer um Zeit. Was ich an der Stelle verstanden habe, ist der Hinweis, dass es möglichst Menschen aus Berlin sein sollten, die sich bewerben. Vor Ort zu leben, macht in dieser Struktur Sinn. Ich war sehr viel da und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass meine Zeit nicht gereicht hat, um miteinander da zu sein.
ALW: Wir haben jetzt darüber gesprochen, wie viel Arbeit es bedeutet, die Struktur der Institution kennenzulernen und sich innerhalb der AG zu organisieren. Ihr habt ein Projekt geplant, das stark auf Recherche aufgebaut hat und als Vermittlungsprojekt gedacht war. Da kommen ja noch mal zahlreiche inhaltliche Fragen aufs Tableau, wo man Entscheidungen treffen muss, die dann wieder der Absprache mit der Geschäftsstelle (GS) bedürfen. Da geht es dann ja weiter mit den Auseinandersetzungen.
GE: Ja. Was wir auf alle Fälle unterschätzt haben, ist, wie viel Zeit wir für Recherche und dann für die Bearbeitung und künstlerische Umsetzung brauchen. Das Dilemma bei diesem Thema war, dass es sehr, sehr groß ist und es sich immer noch weiter ausgedehnt hat. Wenn man sich meine Person anguckt, und es war ja der Plan, die Ausstellung an meiner Biographie entlangzuführen, hat man nicht nur das Thema repressive Umerziehung und Rassismus im Osten, sondern auch Zuwanderung und Kinderrechte sowie die Rolle der Frau, der ausländischen Studierenden, und der Alleinerziehenden. Im Prinzip haben wir festgestellt, dass wir den Osten neu erklären müssen. Umso tiefer wir recherchiert haben, desto mehr ist uns der Spalt bewusst geworden zwischen den Menschen, die Betroffene waren, und Leuten, die wir heute vermutlich als Rezipient_innen haben. Aber wie weit gehe ich da, bis in welche Begrifflichkeiten? Die Kunst einer guten Ausstellung besteht auch in der Begrenzung und es braucht Zeit und Auseinandersetzung, um trennscharf und genau zu sein.
ALW: Hinzu kommt noch, dass die Orte, zu denen ihr recherchiert habt, nicht in Berlin, sondern schwerpunktmäßig in Sachsen sind.
GE: Ja, in Sachsen gab es aufgrund der Industrie die meisten Einrichtungen, weil sie in Verbindung standen mit den Betrieben. So war auch die Kinderarbeit an Betriebe gekoppelt. Ein Vorteil dieser Standorte waren unter anderem die alten Herren- und Gutshäuser, in denen die Kinder untergebracht wurden.
ALW: Wenn ich mich richtig erinnere, wollten ihr auch Recherchereisen unternehmen. Das ist ja auch relativ zeitaufwendig.
GE: Ja, wir sind wirklich zu den Orten gefahren und haben uns angeguckt, was es noch gibt. Zum Teil stehen die Häuser noch, mit den Tapeten und Postern von den Kids, die da gelebt haben.
Auch sind wir relativ spät auf die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau gekommen. Das lag daran, dass wir zum Thema Spezialkinderheime recherchiert haben und erst im Laufe der Recherche verstanden haben, wie die Struktur dieser Spezialkinderheime war, denn die Spezialkinderheime und Jugendwerkhöfe sind beide Teile des Systems Spezialheime. In Torgau laufen viele Recherchen zusammen und werden archiviert. Man war sehr zugewandt und sofort zur Zusammenarbeit bereit. Neue Möglichkeiten taten sich auf. An dieser Stelle konnte noch mal eine ganz andere inhaltliche Auseinandersetzung stattfinden, viele Dinge, wie Interviews und Akten, waren da.
ALW: Wann seid ihr darauf gestoßen? Ihr solltet ja eigentlich von September bis Dezember 2023 präsentieren. Vielleicht können wir jetzt dazu kommen, wo das Projekt gerade steht.
GE: Stand der Dinge [im Dezember 2023] ist, dass wir eine Formatänderung beantragt haben, die mittlerweile durch den KOA bestätigt ist. Die Ausstellung ist abgesagt. Es gibt das Angebot seitens der nGbK, dass wir zwei Tage das Thema präsentieren können. Diese zwei Tage sehe ich als Chance und als Trailer. Ich werde mit dem Jugendwerkhof in Torgau zusammenarbeiten, die uns eine Wanderausstellung zur Verfügung stellen, die Teil der Veranstaltung werden wird.
ALW: Wann werden die zwei Tage sein? Die müssten ja eigentlich noch 2023 stattfinden?
GE: Nein. Das ist anders gelöst. Ich kann als Institution nicht sagen, ich mache große neue Ausstellungsräume auf und habe dann danach zwölf Wochen Leerstand. Deshalb brauchte es nach unserer Absage eine Alternative. Die gibt es mit die Wissen, einer Übernahme aus der TAXISPALAIS Kunsthalle Tirol, die von Dezember 2023 bis Februar 2024 gezeigt wird, glücklicherweise auch. Diese Ausstellung wird durch unsere Mittel finanziert. Und ich muss neues Geld beantragen. Ein neuer Antrag wird gestellt und neue Leute generiert, um die Gruppe wieder zu vervollständigen. Da bin ich gerade dran. Die Idee ist, einen Tag zu Erinnerung und den zweiten zum Mut-Machen zu arbeiten. Ich werde eine existierende Ausstellung auf Stellwänden der Gedenkstätte nutzen und sie um Workshops ergänzen.
ALW: Klingt kompakt.
GE: Aber auch machbar. Ich glaube, man kriegt so ein Grundgefühl für das Thema.
ALW: Dafür suchst du jetzt gerade neue Mitglieder.
GE: Ja. Es ist schwierig, Leute zu diesem Thema einzuladen, weil es so komplex ist. Ein anderer Punkt ist die Finanzierung. Du darfst nicht abhängig sein von den Fördermitteln, weil das bestenfalls eine Aufwandsentschädigung ist.
ALW: Das habe ich mich jetzt gerade gefragt, ob die ganzen Projektgelder verschoben worden sind oder ihr wenigstens einen Anteil für eure bisherige Arbeit bekommt?
GE: Es ist konkret so, dass wir mit 59.900 Euro gefördert worden sind. Die neue Ausstellung kostet 50.000 Euro und 9.900 Euro hatten wir für die bisherigen Vorarbeiten bereits verausgabt. Ich fand das einen sehr fairen Umgang. Dieser hat mich zusätzlich bestärkt, in der Institution zu bleiben. Die Art des Umganges, wie ich sie erlebe, ist, wie ich es mir wünsche.
ALW: Wie habt ihr die GS wahrgenommen? Ist sie ein supporter und stellt die Infrastruktur für die Arbeitsgruppen, oder hat sie auch eine eigene Agenda? Meiner Meinung nach geht das manchmal ein bisschen durcheinander – der Anspruch zu unterstützen und gleichzeitig zu lenken.
GE: Ja, da bin ich ganz bei dir, dass es durcheinandergeht und es beide Ansprüche gibt. In einem KOA habe ich gesagt, wie kann die Geschäftsführung uns etwas wollen? Wir haben sie eingestellt, sie ist unser Instrument. Struktur laut ausgesprochen stiftet Momente der Irritation. Aber wenn du das ernst nimmst, was wir tun, dann ist es so. Ich glaube, dass die unterschiedlichen Interessen der GS dadurch entstehen, dass sie nach innen und nach außen kommuniziert. Nach innen habe ich gerade bei Annette [Maechtel, Geschäftsführerin seit 2020] ein sehr wohlwollendes Auge auf Künstler_innen und Prozesse wahrgenommen im Sinne eines Möglichmachens, nach außen vermute ich gleichzeitig den Wunsch, sich bestmöglich zu verkaufen. Ich weiß nicht, wie nötig das ist. Ich kann Institutionen ganz gut lesen und verstehe, wie Leute warum ticken. Damit habe ich mich lange beschäftigt. Aber ich glaube, es ist eine Fehleinschätzung, eine positive Darstellung nur dadurch zu erreichen, dass ich vermeintlich so bin oder etwas darstelle. Es ist meines Erachtens wirkmächtiger, authentisch zu sein, weil das Gegenüber auch nur ein Mensch ist. Da kann man natürlich wechselseitig die Muskeln spielen lassen, oder das Ziel anstreben, miteinander zu arbeiten, kreativ und produktiv sein. Dann macht es mehr Sinn, sich zu zeigen in dem, was man an Stärke und Schwäche hat. Ich glaube, in diesem Punkt gibt es Spielräume. Gesellschaftliche Diskurse fordern Haltung und aktives Handeln. Wir sind ein basisdemokratischer Verein und das bedeutet nach meinem Verständnis auch, dass Anecken erlaubt ist.
ALW: Das ist ein weiterer herausfordernder Zwiespalt: Einerseits auch aus ressourcenschonungsgründen Dinge entscheiden und voranbringen zu wollen und andererseits Dingen und Aushandlungsprozessen Zeit und Raum zu geben. Da prallen unterschiedliche Ansprüche aufeinander. Kann man es sich als Institution leisten, weniger zu machen? Ich meine, dass man diese kommunikativen Prozesse und die Sorgearbeitsstrukturen, die in der Institution angelegt sind, anders in Wert setzen und wertschätzen müsste.
GE: Ja, diese Aushandlung sollte ein Teil des professionellen Anspruches sein. Mit der Überschrift, die wir haben, ist das Arbeit, die zu leisten ist.
ALW: Wie hast du das bei den anderen Gruppen wahrgenommen? Ich habe beobachtet, dass es Gruppen gibt, die sehr viel Einsatz zeigen und solche, die sich wenig einbringen. Das hat sicherlich auch mit dem unterschiedlichen Wissen in Bezug auf die Institution zu tun – es gibt Gruppen, in denen mehrere „alte Hasen“ sind, die die Institution schon lange kennen, und solche, in denen alle neu sind und sich das Wissen, wie es läuft, erst erarbeiten müssen, genauso wie den Mut, sich sagbar zu machen.
GE: Dass sich nicht alle Gruppen gleich ernsthaft eingebracht haben, haben wir natürlich wahrgenommen [lacht]. Das ist tatsächlich ein Punkt, der uns am Anfang irritiert hat, weil wir uns gefragt haben, wie viele Mitglieder hat der Verein? Und wie viele Mitglieder machen hier Arbeit? In der HV, auf der wir gewählt worden sind, war der Saal ja einigermaßen voll, aber sonst? Von wie wenigen Personen die Arbeit im KOA geleistet wird, finde ich wirklich irritierend. Die Frage, die sich mir gestellt hat, war, ob es sinnvoll ist, den aktiven Arbeitsgruppen, die mit der Projektarbeit und der Einarbeitung in die Institution beschäftigt sind, Vorstandsarbeit anzutragen, weil KOA-Arbeit Vorstandsarbeit ist. Da werden schwerwiegende Entscheidungen für den Verein getroffen, oftmals mit einer sehr dünnen Stimmzahl. Das ist eine große Verantwortung, als Arbeitsgruppe entweder zu sagen, wir haben keine Ahnung, aber nicken das mal ab, oder zu sagen, nö, das gefällt uns nicht. Es ist in dem Moment, in dem ich es ernst nehme, überfordernd, weil ich die Inhalte nicht kenne. Ich weiß noch, wie ich das erste Protokoll geschrieben habe. Gloria! Die Hälfte der Sachen musste ich nachrecherchieren, weil ich nicht wusste, worum es geht. Das finde ich überdenkenswert. Ich würde es gutheißen, wenn es anders wäre. Die Idee eines Beirats oder einer beisitzenden Gruppe, die nicht stimmberechtigt ist, wäre vorstellbar.
ALW: Du hast die Idee des Beirats eingebracht. Gibt es noch mehr Dinge, bei denen du Veränderungspotential siehst?
GE: Ich glaube, es würde Sinn machen, die Ressourcen der Mitglieder besser zu nutzen, ich würde einen Mitgliederbefragungsbogen machen, in dem diese sagen könnten, wie sie sich einbringen möchten. Ich befürchte, wir vergeben viel Potential. Es gibt Mitglieder, die mir gesagt haben, sie finden es schade, dass sie gar nicht wüssten, was sie machen könnten in der nGbK. Mir ist zum Arbeitskreis Diversität in den Sinn gekommen: Warum fragt man nicht anonymisiert in die Mitgliederschaft, was für Handicaps es gibt und wo Barrieren sind? Ich behaupte, es gibt viele Leute, die Markierungen haben, aber sie bestens verstecken. So eine Umfrage wäre etwas, wo sich GS und Vorstand für die Mitgliederschaft interessieren würde.
ALW: Diese Einbeziehung der Mitglieder findet doch statt, mit den HV’s und einem extra Newsletter.
GE: Bei der HV nicke ich Sachen ab, wo ich mehr oder weniger in Prozesse eingebunden bin, der Newsletter sagt mir, was los ist, aber ich vermute, die Hälfte der Leute öffnet ihn nicht. Wenn ich aber ein Rundschreiben kriege, wo drinsteht, „Liebe Leute, wo seid ihr? Wie geht es euch? Was wünscht ihr euch?“, dann glaube ich, dass die Hälfte retourniert wird und dass aus der anderen Hälfte Angebote und Ideen kommen könnten. Ich sage das deshalb so explizit, weil das mein Thema ist: Wie können wir ins Gespräch kommen? Wer fühlt sich wie gut eingeladen? Wer ist willkommen? Wer darf sich beteiligen? Ich finde Zugänge, Einladungen in ganz vielen Kontexten schlecht. Und somit für viele Menschen unmöglich. Es ist nichts typisch Deutsches, zu sagen „Schön, dass ihr da seid.“ Also müssen wir uns das anschauen und überlegen, wie wir Zugänge schaffen können. Das geht nur über Beziehungen. Und über „Ich fühle mich angesprochen“, „Ich fühle mich gesehen“. Darüber kann ich Verbindlichkeit oder Lust auf neue Situationen und Orte herstellen. Wenn ich den Pool an Mitgliedern nicht nutze, um solche Beziehungen herzustellen, sondern sie auf einer institutionellen Ebene belasse, vermute ich, dass diese nicht kommen, weil sie sich nicht gemeint fühlen.
ALW: Hier geht es jetzt ganz stark um Inreach und Outreach: Wie binde und aktiviere ich die bestehenden Mitglieder und öffne mich für neue? Ich finde es interessant, weil das eine Grundsatzentscheidung ist, was man als Institution eigentlich will. Will man die institutionellen Verpflichtungen erfüllen und bei der Berlin Art Week dabei sein oder ist Beziehungsarbeit und Diversität wichtig.
GE: Genau. Und da bin ich sehr konsequent: Wenn ich sage, ich arbeite basisdemokratisch, dann gehört Beziehungsarbeit für mich dazu, genauso, wie eine Basis, die mir zuhört und interessiert ist und nicht nur aus schlummernden 25-Euro-Zahler_innen besteht. Das ist meine Grundsatzfrage: Wie wollen wir in diesem Verein leben?