Ulrich Roloff-Momin
„Das produktive Chaos hat mich beeindruckt“
Das Interview führten Leonie Baumann und Gabi Kellmann am 30. Juni 2009. Es ist erschienen als „Ulrich Roloff-Momin: Das produktive Chaos hat mich beeindruckt“, in: 40 Jahre Neue Gesellschaft für bildende Kunst, Berlin 2009, S. 63-73.
Leonie Baumann (LB): Warum sind Sie Mitglied in der NGBK geworden?
Ulrich Roloff-Momin (URM): Ganz einfach, ich kannte Hajo Diehl (Hans-Jürgen, Anm. d. Red.). Hajo war einer der Berliner Kritischen Realisten; ich hatte mich mit ihm angefreundet, weil seine und meine Frau in einer gemeinsamen Arztpraxis arbeiteten. Er war Mitglied – sogar Gründungsmitglied – der NGBK und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte einmal mitzukommen. Ich habe daraufhin an einer KOA-Sitzung teilgenommen, die ja alle öffentlich waren, und war erst einmal angetan von dem Chaos, das da herrschte. Die Beziehungen der einzelnen K-Gruppen zueinander habe ich überhaupt nicht durchschaut: wer nun mit wem, weshalb, warum und wieso, das nicht und so doch. Dieses produktive Chaos, das hat mich beeindruckt.
LB: Welche K-Gruppen waren das?
URM: Da gab es die SEW, die KPD/ML, die KPD/AO oder wer auch immer. Wer war noch dabei? Die Trotzkisten, also eigentlich alle, die damals politisch aktiv waren. 1
LB: Erinnern Sie sich an die Atmosphäre in den Koordinationsausschusssitzungen?
URM: Das waren mittelgroße Versammlungen. Viele Künstler trafen sich da, z.B. die Berliner Realisten, Arwed Gorella, der später aus Berlin weggegangen ist, Wolfgang Petrick war öfter da, manchmal auch Peter Sorge. Gernot Bubenik habe ich da gesehen. Ja, wie gesagt, dieses gelenkte Chaos, das hat mich beeindruckt.
LB: Wollten Sie sich, als Sie Mitglied geworden waren, auch an der Realisierung von Ausstellungen oder an Projekten beteiligen oder zogen Sie es vor, sich kulturpolitisch zu betätigen?
URM: Ich wollte Kulturpolitik machen bzw. in diesem Verein mitwirken, weil es mir Spaß machte dorthin zu gehen. Es ging immer ungewöhnlich zu, besonders in den Hauptversammlungen, weil die Leute am gleichen Abend eintreten durften, an dem auch die Projekte verhandelt wurden. Das führte dann dazu, dass die Hauptversammlung grundsätzlich nicht pünktlich, sondern eine halbe bis dreiviertel Stunde später begann, weil draußen vor der Tür Schlangen von Leuten standen, die in den Verein eintreten wollten. Weshalb? Um ihr Projekt durchzusetzen. Die NGBK war ein hochpolitischer Verein, weil alle Gruppierungen hier ihre Ideen realisieren und an das Lottogeld herankommen wollten. Das war absolut legitim. Es standen damals immerhin eine knappe Million DM zur Verfügung. Um ihr Projekt puschen zu können, mussten die Bewerber Mehrheiten bilden, also ihre Anhänger mobilisieren. So traten manchmal an einem Abend 150 oder 200 Leute ein, die erhielten alle ihre Mitgliedsausweise bzw. mussten registriert werden und so weiter. Erst dann begann die Hauptversammlung.
LB: Als Sie ins Präsidium gewählt wurden, gab es da Gegenkandidaten? War es eine umstrittene Position oder hatte das Präsidium sowieso keinen oder kaum Einfluss auf diese Prozesse?
URM: Die Satzung der NGBK ist damals richtungsweisend gewesen. Das war totale Demokratie und zwar Basisdemokratie. Die fand schon darin ihren Ausdruck, dass man in die Hauptversammlung gehen und mitstimmen konnte, obwohl man erst eine halbe Stunde vorher eingetreten war, um ein Projekt zu puschen. Deswegen hatte das Präsidium lediglich einen vereinsrechtlichen Status. Nach dem Vereinsrecht muss jemand den Hut aufhaben, die Verantwortung tragen und deshalb wählte man ein Präsidium, das aus drei Leuten bestand: aus einem Präsidenten, einem Schriftführer und einem Schatzmeister und so tat man dem BGB genüge. Ansonsten hatte ich nicht den Eindruck, dass das Präsidium irgendwie „stilbildend“ war.
LB: Aber nach meinem Dafürhalten haben Sie ihr Amt als Präsident nicht nur satzungsgemäß, als vereinsrechtliches Aushängeschild ausgefüllt, Sie haben Ihre Position auch genutzt, um die Arbeit des Vereins inhaltlich mitzugestalten.
URM: Das ist richtig. Als Schatzmeister habe ich mit Bernd Weyergraf und nachher mit Valdis Āboliņš zusammengearbeitet und konnte schon einiges beobachten. Der erste Präsident der NGBK, Otto Mertens, war ein Grand Seigneur, der sich nicht einmischte und präsidierte. Als dann nach Otto Mertens Tod neu gewählt wurde, gab es keinen Gegenkandidaten. Bei der Wahl zum Schatzmeister sowieso nicht, weil niemand die Verantwortung für die Lotto-Abrechnung übernehmen wollte. Lotto ist – mit Recht – pingelig was die Mittelverwendung, den Nachweis der Ausgaben und so weiter angeht.
Man wächst plötzlich in eine Rolle hinein: Ich war immer bei den KOA-Sitzungen dabei; die Hauptversammlung wurde meistens von mir geleitet und irgendwann kannte man seine „Pappenheinner“, ich wusste, wer welche Position vertrat und wenn sich jemand an einer bestimmten Stelle zu Wort meldete, war mir schon klar, was gesagt werden würde. Das lief immer nach dem gleichen Schema ab, die Inhalte änderten sich, aber im Wesentlichen ging es darum, Projekte durchzusetzen und um formale Fragen, die man beachten oder nutzen musste, um Mehrheiten bilden zu können. Dabei tauchten plötzlich Konflikte auf und es wurde erwartet, dass diese Konflikte auf irgendeine Art und Weise geschlichtet werden. Ich habe mich nicht aufgedrängt, aber wenn Konflikte anstanden, habe ich versucht sie zu lösen.
LB: Wie muss man sich diese Konflikte vorstellen?
URM: Na, der Hauptkonflikt entbrannte natürlich um Mythos Berlin mit Eberhard Knödler-Bunte auf der einen und Sabine Weißler, Dieter Ruckhaberle u.a. auf der anderen Seite. Da entwickelte sich ein heftiger Streit, weil dieses Projekt so unverschämt viel Geld kostete. Das warf natürlich zu Recht die Frage auf, ob die NGBK als ein pluralistischer Verein, der Projekte ganz unterschiedlicher Art realisierte, nun fast den gesamten Jahresetat nur für ein einziges Vorhaben verbrauchen sollte. Der Verein wäre dann eigentlich am Ende gewesen. Eberhard Knödler-Bunte hatte das sehr geschickt angestellt. Das Projekt war quasi in den Verein hineingewachsen. Es war von der Hauptversammlung eingesetzt worden, dort ging es dann um seine Bestätigung und so weiter und plötzlich war ein Punkt erreicht, wo es offensichtlich nicht mehr zurückging und dieses viele Geld beantragt wurde. Dann begann sich mehr und mehr Widerstand zu regen, a) wegen der Inhalte – das sei ein affirmatives Vorhaben, so die Argumentationslinien der Kritiker von damals – und b) gegen die Bewilligung einer solchen Geldmenge.
Über diesen Konflikt wäre die NGBK beinahe geplatzt. Es gab Nachtsitzungen, wir haben stundenlang diskutiert und ich musste versuchen, einen Kompromiss zu erreichen, ohne den Verein und seine Förderung zu gefährden.
Die Kompromisse waren aus der Sicht einiger sicher faule Kompromisse. Aber die Ausstellung wurde durchgeführt, mit abgespecktem Finanzplan. Zur Eröffnung habe ich dann extra Schmuddelsachen angezogen, weil ich davon ausging, dass es spätestens am Tortenbuffet oder bei den Salaten eine Saalschlacht geben würde.
Das war der Hauptkonflikt und ansonsten gab es immer wieder Auseinandersetzungen um die Inhalte der Ausstellungen. Wurden die Projekte eingesetzt, mussten sie sich im KOA immer wieder mit allen anderen Projekten koordinieren. Und natürlich, wie immer, wenn Leute über Jahre zusammenkommen, beharkten sich ständig die alten Erzfeinde, aber nur, um sich zu beharken, nicht um des Inhalts Willen und das blockierte die Arbeit. All diese Streitigkeiten mussten immer irgendwie gelöst werden.
LB: Haben Sie sich denn in diesen Prozessen positioniert oder mit einer Fraktion sympathisiert?
URM: Nein, das hat man mir hinterher vorgeworfen. Nachdem ich mit dem Verein „Mythos Berlin“ die Chose gelöst hatte, da hat man mir vorgeworfen, ich hätte zur SEW-Fraktion gehört. Absoluter Unsinn! Wenn ich zu einer Fraktion gehört hätte, wäre das Problem nicht lösbar gewesen, weil die anderen mich dann nicht mehr ernst genommen hätten. Aber sei es drum, mit dem Vorwurf konnte ich damals und kann ich heute noch leben, denn das Wichtigste ist: Den Verein gibt es noch.
LB: Ich habe gelesen, dass es 1977 1800 Mitglieder gegeben haben soll, 1990 waren es nur noch 776, also weniger als heute. Was ist da passiert?
URM: Das kann ich nicht genau sagen, aber zur Hochzeit der politischen Ausstellungen waren Hajo Diehl und die ganzen Künstler noch dabei. Viele sind später weggegangen. Das hat mich schon berührt. Von Hajo Diehl und anderen habe ich dann gehört: Die NGBK tut nichts für uns. Darauf habe ich erwidert, dass die NGBK als Kunstverein vielleicht eine andere Aufgabe habe. Trotzdem haben sie sich alle nacheinander verabschiedet. Geblieben sind mehrheitlich die Mitglieder, die Projekte durchführen wollten und Künstler waren.
An eine der damals hochpolitischen Ausstellungen habe ich mich übrigens jetzt wieder erinnert, als ich in Mexiko war. Dort habe ich mir natürlich die Muralisten angeschaut und war auch im Haus von Trotzki, in dem er erschlagen worden ist. Und da erinnerte ich mich plötzlich an den Riesenkrach in der NGBK, als die Ausstellung zur mexikanischen Wandmalerei eingesetzt werden sollte. Es ging darum, ob David Alfaro Siqueiros dazugehören dürfe oder nicht. Es wurde stundenlang debattiert. Ich selber habe überhaupt nicht verstanden, worum es da eigentlich ging, da der Mann doch zu den mexikanischen Muralisten gehörte. Alle haben um den heißen Brei herumgeredet.
Jetzt, im Februar 2009, habe ich verstanden, was andere offensichtlich schon längst wussten. Ich Naivling! Siqueiros war Kommunist und gehörte damit angeblich zu denjenigen, die ein Attentat auf Trotzki geplant hatten und die Trotzkisten wollten natürlich nicht, dass Siqueiros in einer Ausstellung mit den anderen gezeigt wird. Das war der Hintergrund, endlich habe ich es verstanden!
Um diese politischen Fragen hinter der Kunst ging es und deswegen wurden die Leute in den Verein „gekarrt“. Als die Zeit der hochpolitischen Ausstellungen vorbei war, verließen viele wieder den Verein, obwohl der Mitgliedsbeitrag nicht hoch war. Aber die Attraktivität der NGBK nach außen, denke ich, hat nicht nachgelassen. Es war eine andere Zeit als solche Vereine gegründet worden sind. Heute würde niemand mehr so eine radikaldemokratische Satzung entwerfen. Damals am Beginn der Studentenbewegung war das absolut notwendig und richtig. Nun sind die Gründerväter langsam herausgewachsen und heute denke ich, geht es wieder mehr um die Form und um Inhalte, weniger um die politischen Kämpfe und Verwicklungen dahinter. Und deswegen sind vielleicht die heutigen Mitglieder echte Kunstvereinsmitglieder.
LB: Die NGBK hat heute 850 Mitglieder und ist durchschnittlich viel jünger als andere Kunstvereine, aber es gibt eine hohe Fluktuation. Viele treten während des Studiums ein und wieder aus, wenn sie Berlin verlassen. Einige gehen allerdings sofort wieder, wenn ihr Projekt nicht realisiert wird. War das damals auch schon zu beobachten?
URM: Es hat bestimmt auch Leute gegeben, die als Einzelkämpfer eingetreten sind und zu dritt oder zu viert abseits jeder politischen Gruppierung versucht haben in der Hauptversammlung, ein Projekt durchzusetzen. Die sind dann frustriert wieder gegangen, wenn sie niedergestimmt wurden. Aber als Hauptlinie habe ich beobachtet, dass viele nach dem ersten Scheitern beim nächsten Mal wieder beantragt haben. Die waren hartnäckig und das war ja auch richtig. Wenn man etwas durchsetzen will, muss man hartnäckig sein. Vielleicht ringen viele heute nicht mehr so zäh um ihr Projekt, sondern gehen gelassener als vor dreißig, vierzig Jahren damit um. Ich weiß es nicht.
LB: Es gibt ein großes Interesse am Programm der NGBK, viele würden gerne im kuratorischen Bereich arbeiten und die Ausstellungspraxis in der NGBK nutzen, um sich zu professionalisieren und zu qualifizieren, auch für ihre berufliche Karriere.
URM: Das war damals übrigens genau das Gleiche. Das halte ich für legitim. Es gab zwei Kunstvereine und der Kampf ums Geld hat bis in die 1980er Jahre angedauert, weil immer irgendjemand kam und der NGBK die Mittel kürzen wollte. Der n.b.k. wurde selten gekürzt, er hatte ja sein Standbein mit der Galerie geschaffen und die ganzen „Bonzen der Stadt“ waren dort vertreten. An das Geld wollte natürlich jeder ran, auch um nach dem Studium ein Projekt nachweisen zu können. Die NGBK hatte den Vorteil, sich durch ein Auswahlverfahren zu profilieren, so politisch es auch war, es sind doch dadurch exzellente Ausstellungen herausgekommen. Auch die Konzepte, die Präsentation und die so genannte Didaktik, die in den 197oern allgemein noch beschimpft wurde, sind doch heute Standard in der Ausstellungspraxis.
LB: Hat es damals eigentlich schon die Auseinandersetzung um eine angemessene Honorierung der Arbeit gegeben? Die Vereinsmitglieder engagieren sich mehr oder weniger ehrenamtlich, die Arbeit ist aber so umfassend, dass nicht von einer angemessenen Entlohnung gesprochen werden kann. Ist das eine neuere Diskussion oder gab es das früher schon?
URM: Die Diskussion gab es auch. Es wurde natürlich jedes Mal über die Budgets verhandelt und in den Hauptversammlungen darüber gesprochen: „Wieso braucht ihr fünf wissenschaftliche Mitarbeiter, es reichen doch vier und drei“. Ich weiß nicht, wie das heute ist, aber damals stand diese Debatte nicht so im Vordergrund. Dabei ist es legitim zu sagen: „Ich mache ein Projekt, aber ich muss für meine Arbeit auch Geld bekommen“.
LB: Nehmen Sie noch die Ausstellungen in der NGBK zur Kenntnis?
URM: Ich muss leider sagen nein, das ist sträflich, ja ganz schlimm!
LB: Das heißt, Sie sind aus alter Treue zum Verein Mitglied geblieben?
URM: Ja, das werde ich auch bis an mein Lebensende sein.
LB: Es gibt heute viel mehr Galerien, die großen Museumshäuser stellen zeitgenössische Kunst aus, im Gegensatz zu früher. Welche Rolle spielen Kunstvereine Ihrer Meinung nach in diesem Geflecht?
URM: Ich will jetzt nicht über Kunstvereine reden, die ich nicht kenne, aber die NGBK hat die Aufgabe, Ausstellungen zu machen, die sonst keine andere Institution machen würde: ungewöhnliche Ausstellungen. Das sehe ich ja, wenn ich die Einladungen bekomme! Dort finden relativ ausgefallene Ausstellungen statt. Die kann sich eine Galerie schon deshalb nicht leisten, weil sie ein wirtschaftliches Unternehmen ist und Geld einspielen muss. Die NGBK ist, Gott sei Dank, nicht darauf angewiesen, weil sie von Lotto alimentiert wird. An dieser Aufgabe und Notwendigkeit hat sich seit den 1970er Jahren nichts geändert. Die Zielrichtungen der einzelnen Ausstellungen haben sich verändert, aber nach wie vor besteht absolut die Notwendigkeit, solche Projekte zu realisieren.
LB: Glauben Sie eigentlich, dass die frühen Konflikte dem Verein geschadet haben?
URM: Nein, im Gegenteil. Die haben überhaupt nicht geschadet. Ich vertrete die Auffassung, lieber ein Streit zu viel als zu wenig. Denn nur dadurch entscheiden sich Dinge und werden Inhalte deutlich, selbst wenn hinterher faule Kompromisse getroffen und geschlossen werden müssen. Man kommt sich selber und den anderen näher, wenn man miteinander über Inhalte streitet. Insofern hat es dem Verein nicht geschadet.
Ich möchte noch an Valdis Āboliņš erinnern. Ich habe zwei Geschäftsführer erlebt, zwei langjährige Geschäftsführer. Das war Weyergraf, den ich sehr geschätzt und mit dem ich gerne zusammengearbeitet habe. Aber die herausragende Persönlichkeit war Valdis Āboliņš. Es ist ein Jammer, dass dieser Mann so früh von uns gegangen ist. Das war eine Type im positiven Sinne von Persönlichkeit, wie ich seitdem nie wieder einen Menschen getroffen habe. Umwerfend!
LB: Er ist jetzt schon 25 Jahre tot. Danke, dass Sie an ihn erinnern.
Gabi Kellmann: Würden Sie irgendetwas anders machen, wenn Sie jetzt noch einmal über das Profil der NGBK entscheiden könnten, haben Sie etwas bereut?
URM: Nein, eigentlich nicht. Es war anstrengend, weil diese Vereinsverfassung anstrengend ist und viel Zeit erforderte, aber es war eine erfüllte Zeit. Natürlich habe ich mich über den einen oder anderen geärgert, ihn zum Teufel gewünscht, aber so ist das nun mal. Im Nachhinein würde ich sage: All die „Typen“ – im positiven Sinne gemeint – waren notwendig, die haben die NGBK zu einem Tiegel gemacht, in dem kein Einheitsbrei gerührt werden konnte, sondern in dem jeder auf seine Art und Weise sein „Werk“ gar gekocht hat. Diese Satzung musste erfunden werden, heute wäre das viel schwieriger. Ich freue mich, dass das Erscheinungsbild nicht geändert worden ist, dieses herrliche Logo mit den ausgreifenden Pfeilen, das Bubenik gemacht hat. Es ist so schön, dass keiner auf die Idee gekommen ist, dieses Logo stromlinienförmig, marketingmäßig durch einen Industriebriefkopf zu ersetzen.
LB: Heute vermissen wir manchmal diesen produktiven Streit von damals. Mir scheint, viele haben Angst in der Hauptversammlung etwas Negatives über einen Antrag zu sagen, nach dem Motto: „Dann haut der mir im Gegenzug mein Projekt um die Ohren“.
URM: Das ist der allgemeine Trend. Die 68er gibt es nicht mehr. Die Jungen sind nicht mehr so auf Streit programmiert; aufmüpfig sein ist schwierig und erfordert Mut, aber das Angepasstsein von heute muss man schon manchmal beklagen. Das war früher natürlich völlig anders. Die Leute haben damals aufeinander eingehackt, so dass ich manchmal dachte: „Wo bist du hier eigentlich?“ Dieter Ruckhaberle hat ja nie ein Blatt vor den Mund genommen. Da ging’s hoch her. Hinterher haben fast alle das gekriegt, was sie wollten und jeder hat weitergearbeitet.
Also insofern: nur mit Streit kommt man weiter.
- In Westberlin gab es eine Vielzahl von kommunistisch/sozialistischen Gruppierungen, deren Politik sich auf die unterschiedlichen sozialistischen Staatenmodelle der Sowjetunion, Albanien und China bezog. (Anm. d. Red.)↩