RAND: Kindheitsmuster & Archivdialoge
Gespräch mit der Künstlerin, Performerin und Sozialwissenschaftlerin Wenke Seemann über ihr Buch- und Ausstellungsprojekt „Utopie Auf Platte“ und dem konzeptuellen Fotografen Arwed Messmer
Moderation: Jochen Becker
Im Rahmen der Ausstellung RAND – Im Übergang von Stadt und Land von Verena Hägler & Nicola Reiter zur Münchner Peripherie wird Wenke Seemann einen kontrastreichen Blick auf die urbanen Peripherien im Norden Deutschlands werfen. Ihre Kindheitserinnerungen an Rostocks Großsiedlungen – vom Abenteuerspielplatz Baustelle bis zu den Pogromen in Lichtenhagen – erkunden die Ostmoderne mit postmodernen Methoden.
Im Nachlass ihres Vaters, der als Werbefotograf beim VEB Schiffscommerz gearbeitet und seinen Traum von der Seefahrt in tausende Fotografien „auslaufender Schiffe verbannt“ hat, fand Seemann zehn Umzugskartons mit Fotomaterial. Darin sichtete sie Bilder von der Entstehung der Neubaugebiete im Rostocker Nordwesten in den 1970er und 1980er Jahren: „In diesen Bildern habe ich zum ersten Mal etwas gesehen, das ich zuvor nie mit ostdeutschen Plattenbausiedlungen in Verbindung gebracht hatte: einen Geist von Aufbruch und Erneuerung, ein Versprechen der Moderne an die Generation meiner Eltern.“
Im Projekt ‚Utopie auf Platte’ spürt Wenke Seemann den versprochenen wie gebrochenen Utopien der (Ost)Moderne nach. Ihr Ansatz einer genauen künstlerischen Lektüre familiärer Aufnahmen, die ihr erst posthum und als massiv bearbeitetes Material wieder näher rücken konnte, verfolgt diese Versprechungen.
Im Gespräch mit dem Fotografen Arwed Messmer, der an den „Rändern des Dokumentarischen“ arbeitet, bildet seine künstlerisch-bildarchäologische Praxis ein konkretes Gegenüber zu der Frage nach „Archivdialogen“: Wie kann eine zweckdienliche Fotografie – staatlich beauftragt und in öffentlichen Archiven vorgehalten – beispielsweise zu Grenzanlagen in Berlin, zum West-Berliner Protest bis hin zum Linksterrorismus, zur Staatssicherheit der DDR – heute wieder neu oder auch erstmalig gelesen werden?
Messmer wie Seemann zeichnet ein innovativer und souveräner Umgang mit Archivmaterialien, Erzählungen (u.a. in Kooperation mit Annett Gröschner) und Überführungen in Ausstellung und Buch aus.
Wenke Seemann: Utopie Auf Platte – Archivdialoge #1, Bierke-Verlag, Berlin, 2025
Arwed Messmer: Tiefenenttrümmerung – Der Traum vom Reich, Spector Books, Leipzig, 2023
Verena Hägler & Nicola Reiter: RAND – Im Übergang von Stadt und Land, Spector Books, Leipzig, 2022
Die Ausstellung RAND – Im Übergang von Stadt und Land von Verena Hägler & Nicola Reiter ist noch bis zum 3. Mai jeden Donnerstag und Samstag von 15 bis 19 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Die Veranstaltung findet im Rahmen des EMOP Berlin – European Month of Photography statt.