Konflikt als Methode: Überlegungen zum gemeinsamen Lernen im Symposium (CCC)

von Ayasha Guerin (CCC)
2024



Curating Through Conflict with Care (CCC) ist eine Projektgruppe, die sich zu Beginn der Pandemie im Nachgang zu den weltweiten BLM-Protesten bildete. Zu einem Zeitpunkt, als Forderungen nach Dekolonisierung mit „postkolonialen“ Programmen in Bildung und Museen, „divers besetzten“ Führungspositionen und mit neuen öffentlichen Institutionen beantwortet wurden. Man versprach sich mit den Gewalttaten des Kolonialismus auseinanderzusetzen. Es schmerzt, über die Grenzen dieser Versprechen von 2020 nachzudenken. Während wir vier Jahre später in die letzte Phase unseres Projekts gehen, dauert (zum Zeitpunkt als diese Zeilen geschrieben werden) der israelische Militärangriff auf Gaza, Palästina bereits sechs Monate an. Gegen das Leiden und die Tötung von mehr als 33 Tausend Palästinenser_innen haben Millionen von Aktivist_innen weltweit protestiert, während die Südafrikaner_innen (die ihre eigenen Erfahrungen mit Apartheid gemacht haben) diesen Fall vor den Internationalen Gerichtshof gebracht haben und Israel, die USA und die waffenliefernden westlichen Mächte (einschließlich Deutschland) anklagen, Völkermordverbrechen zu ermöglichen. In der Woche, in der wir diesen Text veröffentlichen, wird Nicaragua Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof verklagen und das Land beschuldigen, durch die militärische und finanzielle Unterstützung Israels die Völkermordkonvention zu unterstützen und zu verletzen. In der Zwischenzeit gibt es in Deutschland wenig bis gar keine Medienberichterstattung über diese Anschuldigung und jede Diskussion über diesen gewalttätigen „Konflikt“ wird mit institutionellem Schweigen und Zensur beantwortet [documenta fifteen] [Archive of Silence]. Als Reaktion hierauf  bestreiken Hunderte von internationalen Künstler_innen die deutsche Kulturarbeit und ziehen Ihre Teilnahme an deutschen Ausstellungen und Programmen zurück [Strike Germany].


CCC traf sich im Rahmen des Kurator_innen-Workshops der 11. Berlin Biennale. Dieser stellte zum ersten Mal die Einbeziehung lokaler Kunstschaffender aus der „aufstrebenden Mehrheit“ in den Vordergrund – ein Identitätsmerkmal, das uns bei unserem ersten Zusammentreffen und dem Versuch, gemeinsame Erfahrungen und politische Verpflichtungen zu identifizieren, fast sofort Schwierigkeiten bereitete. Während die BB11 mit dem Titel „Der Riss beginnt im Inneren“ explizit Fragen der Kollektivität und des Durchbruchs untersuchte, wurden die Konflikte, die in der Unbeholfenheit des Workshops auftauchten (hinzu kam, dass sie Corona-bedingt online stattfinden mussten) , von der Mehrheit nicht als die Chancen erkannt, die sie waren. Hätte nicht die Politik erforscht werden können,  die uns alle in Bezug auf Rasse, Privilegien, Ausgrenzung, Plattformbildung und Schweigen in der Kunstwelt beschäftigte? Wir haben uns als CCC abgespalten, um einen Raum zu schaffen, in dem wir gemeinsam darüber nachdenken können, wie wir den Konflikt als Methode nutzen können, um Gewalt in der Kunst zu lokalisieren und zu behandeln, und wie wir – als die, die historisch von formalen Kunsträumen ausgeschlossen sind – uns umeinander kümmern können, während wir den Wandel in Europa und darüber hinaus vorantreiben.


Die Stimmen waren knapp und die Wahl war dramatisch, da sie sich über mehrere Runden von Live-Auszählungen auf Zoom erstreckte, aber mit der Wahl unseres Projekts durch die nGbK-Mitglieder konnten wir die CCC-Forschung mit einem Zweijahresbudget weiterdenken. Die erste Phase unseres Projekts (2021-22) war eine Forschungsphase, in der wir gemeinsam lasen, uns trafen, um Erfahrungen auszutauschen, und spezifische Fallstudien zu kuratorischen Konflikten untersuchten. Der Zeitrahmen für diese Arbeit fiel mit dem Skandal um die kollektive Kuration von Ruangroupa auf der documenta fifteen und den öffentlichen Angriffen auf rassifizierte Künstler_innen, die an dem Kunstfestival teilnahmen, zusammen. Die Konflikte und Widersprüche in der documenta-Fallstudie trieben uns zur Planung unseres Berliner Symposiums im Jahr 2023 an. Wir luden Menschen ein, die die documenta fifteen und andere Kunstzensuren aus erster Hand erlebt hatten. Wir veröffentlichten auch einen offenen Aufruf, um Menschen zu versammeln, die wir noch nicht kannten, die aber ebenfalls an den zentralen Fragen unserer Forschung interessiert waren. 

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Skript und Regie: Curating through Conflict with Care (Ayasha Guerin, Moshtari Hilal, Maithu Bùi, Duygu Örs)
Schnitt: Alice Z Jones
Sound Design: Pamier Hilal
Animation und Logo: Tessa Curran

Mit unserem Projektbudget organisierten wir das CCC-Symposium, eine Mini-Residenz, bei der 60 Köpfe drei Tage lang in einem marathonähnlichen Versuch wertvolles Wissen anwenden, Verbindungen schaffen und vertrauensvolle Beziehungen aufbauen sollten. Für mehr als die Hälfte der Teilnehmenden bedeutete dies, dass sie anreisen und untergebracht werden mussten. Egal, ob sie als Redner_innen oder als aktive Zuhörer_innen mit kleineren Beiträgen teilnahmen, wir zahlten jeder Person ein Honorar  für ihre Zeit und Arbeit. Die meisten Teilnehmer_innen waren zwischen 20 und Anfang 30, und die meisten bezeichneten sich als People of Color. Alle von uns haben in irgendeiner Form in Europa gearbeitet (und die meisten haben einen lokalen Bezug zu Deutschland).




Wir wussten, dass dieses Treffen das erste sein würde, das eine neue Generation von Kunstschaffenden zu privaten Gesprächen über die Themen zusammenbrachte, die uns betreffen. Wir wussten, dass viele Teilnehmer_innen wie wir als Insider und Außenseiter in kulturellen Institutionen agieren: Einige sind unabhängige Kurator_innen, die auch Künstler_innen und Schriftsteller_innen sind, andere sind Museumspädagog_innen, die als Freiberufler_innen für verschiedene Institutionen arbeiten, viele sind Universitätsstudierende und -mitarbeitende der ersten Generation, die ihre kreative Praxis beibehalten, aber Schwierigkeiten haben, sich als „Künstler_innen” zu bezeichnen. Wir alle sind auf unsere Beziehungen zu Institutionen angewiesen, um unsere Miete zahlen zu können, auch wenn sie für uns zutiefst unbequeme Orte sind, an denen wir unsere Arbeit verrichten.




Als wir in den Stunden vor dem CCC-Symposium den Arbeitsraum vorbereiteten, kritzelten wir schnell und impulsiv zwei Fragen auf Gedankenblasen aus Papier und hefteten sie an eine grüne Wand: Was können wir von Institutionen verlangen? Wie können wir uns außerhalb der Institution organisieren?  Dies waren Fragen, die wir in drei Jahren Projektgruppenarbeit intern diskutiert hatten, indem wir Geschichten und Strategien aus unseren jeweiligen Lebens- und Arbeitszusammenhängen verglichen.


Die grüne Wand füllte sich nicht mit direkten Antworten, aber diese Fragen verweilten im Raum, prägten hitzige Debatten, veranlassten Listen, Mindmaps und Provokationen, die die Teilnehmer_innen des Symposiums in Gruppenarbeit erstellten. In mehr als einem Podium entstand eine Kritik an dem Impuls, klare Vorschläge für institutionelle Veränderungen zu formulieren, sozusagen  ein Widerstand dagegen, „die ganze Arbeit für die Institution umsonst zu machen“. Abgesehen von der Frage der Entlohnung waren wir uns einig, dass ein sinnvoller Verhaltenskodex voraussetzt, dass die einzelnen Mitglieder einer Institution Zeit darauf verwenden, ihren eigenen ethischen Kodex zu schreiben und sich diesem zu verpflichten und dass dieser Kodex auf den spezifischen Kontext der Arbeit eingehen sollte. Es gibt keine Einheitslösung für die Dekolonialisierung von Institutionen oder die Implementierung von Fürsorge-Protokollen. Einen institutionellen Verhaltenskodex zu verallgemeinern, würde den Text seines radikalen Potenzials berauben.


Ich dachte an Landanerkennungen, die öffentlich verlauten lassen, dass ein Kunstevent auf gestohlenem Land stattfindet, ohne sich jedoch für die Souveränität der Indigenen Bevölkerung einzusetzen. Landanerkennungen, die in Kanada, wo ich die vergangenen zwei Jahre arbeitete, weit verbreitet sind, können ein wichtiger Schritt in Richtung Versöhnung und Restitution sein, aber ohne Forschung, eine Praxis des Zuhörens und die Zusammenarbeit von und mit Indigenen werden Landanerkennungen zu leeren Skripten, die von gleichgültigen Institutionen recycelt werde. Eher  eine Formalität und nicht eine verändernde Kraft. Azul Dugues Beitrag „Ein Rezept für Landanerkennungen“ ist eine Intervention und lädt uns zu einer anderen Art der Rechenschaftspflicht ein. 



Wir haben zwar eine Liste mit Vorschlägen für ein institutionelles Protokoll zusammengestellt, aber die zweite Frage, nämlich wie wir uns außerhalb von Institutionen organisieren, hat mehr Gedanken und Empfehlungen zusammengetragen. Vielleicht, weil es der Ansatz ist, mit dem wir alle mehr Erfahrung haben (aus der Not heraus) und in den wir daher ein bisschen mehr Hoffnung gesetzt haben. Einige Teilnehmer_innen schlugen vor, dass wir uns nicht die Frage stellen sollten, wie sich eine Institution verhalten sollte, sondern vielmehr, wie wir uns schützen können, wenn wir mit Institutionen zusammenarbeiten, in der Erwartung, dass die überwiegend weiße Kunstinstitution (Predominantly White Art Institution oder PWAI) gewalttätig sein wird. Vielleicht sollten wir einen Fahrplan für das Navigieren durch PWAI-Institutionen schreiben, so etwas wie ein “Art World Greenbook”. [Archive of Silence]


Andere Gruppen fragten sich, ob es richtig sei, diese Themen defensiv anzugehen. Warum sollten wir unsere Strategie als Alternative zu weißen Machtstrukturen definieren? Sollten wir diesen Raum nicht eher nutzen, um weiter zu träumen? Um radikale Forderungen zu stellen und Erwartungen weiter voranzutreiben?


Wir haben viel über Herausforderungen gemeinsamer Arbeit gesprochen. Wir müssen wissen, wo Energie eingesetzt und wann sie gespart werden kann. Koalitionsarbeit ist nicht unvermeidlich [Müssen wir uns mögen, um füreinander zu sorgen?], und unsere Kapazitäten, diese Arbeit schnell und effizient zu erledigen, sind normalerweise gering. Alle fragten sich: „Warum haben wir keine Gewerkschaft der Kunstschaffenden?“ Und wenn wir eine hätten, welche Dinge könnte diese Gewerkschaft in unserem Namen aushandeln? Wir haben auf unserer Plattform ein Q&A mit Zoë Claire Miller vom BBK, die einer Künstler_innengewerkschaft in Berlin am nächsten kommt, aufgenommen, um einige dieser Fragen zu beantworten. 


Wir sind auch auf die Frage des Mentorings zurückgekommen. Was ist das? Und warum haben so wenige von uns Erfahrung damit? Könnten wir gegenseitige Mentor_innen sein? Und welche Art von Mentoring-Strukturen könnten wir uns vorstellen? Wir diskutierten über die Notwendigkeit, unsere eigenen Wertesysteme zu definieren, bevor wir miteinander arbeiten und bevor wir mit Institutionen zusammenarbeiten. Ob als angestellte Person oder als freischaffende/r Künstlerin: um sich in einer Institution zurechtzufinden, muss ein Mensch sein eigenes Wertesystem kennen, so verliert er sich nicht  allein darin. Überlegung: Was ist dir wichtig? Was brauchst du, um dich unterstützt zu fühlen, um Arbeitsbeziehungen mit anderen einzugehen? Wie kannst du vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen aufbauen und aufrechterhalten?


Keiner von uns geht von der gleichen Position aus an diese Arbeit heran. Wir vertreten unterschiedliche soziale Schichten, Muttersprachen und Migrationshintergründe. Wir wurden durch unterschiedliche Traumata und Verantwortlichkeiten geprägt. Wir bringen unterschiedliche Kenntnisse und Erfahrungen in der kollektiven, internationalen, interkulturellen und generationenübergreifenden Arbeit mit. Es gibt unterschiedliche Schwachstellen, wenn man sich als Angestellter oder als Freiberuflerin in der Institution bewegt. Wir waren uns einig, dass wir eine kontinuierliche Forschung benötigen, um unsere unterschiedlichen Schwachstellen zu kartieren, damit wir Arbeitsbündnisse eingehen können, die für alle von uns funktionieren.


Fürsorge und Konflikt waren Themen des Symposiums, aber der Konflikt war ein viel attraktiverer Rahmen für unsere Gespräche als Fürsorge.


„Was ist überhaupt Fürsorge?“, fragten Teilnehmer_innen laut. “Wir müssen über Fürsorge sprechen“, waren wir uns einig. Der museale Diskurs zu  Fürsorge steht zu oft für den Verweis auf und das Einfordern von feminisierter Arbeit. Er stößt diejenigen von uns ab, die sich dagegen wehren, die Rolle der Mutti der Kunstwelt zu spielen, in der von Schwarzen/WoC-Kuratorinnen, -Vermittlerinnen und -Pädagoginnen erwartet wird, dass sie sich um die weißen Gefühle in Institutionen kümmern, die Werke über Gewalt und Konflikte zeigen. Während unserer gemeinsamen Lektüre von Tian Zhangs Radical Care Manifesto überlegten wir, wer sich um die Care Worker_innen kümmert. Wir waren uns einig, dass Fürsorge keine Wohltätigkeit ist, sondern Solidarität.


Noch wichtiger war, dass wir uns einig waren, dass wir diesen Raum brauchten, um uns mit den Konflikten in der realen Welt zu befassen, die unsere Arbeit beeinflussen, einschließlich politischer Konflikte wie Grenzkriege und Völkermorde, die einige Teilnehmer_innen persönlich erlebt haben und die unsere Grundprinzipien und Investitionen prägen. Hätten wir doch nur mehr Zeit zusammen gehabt. Unsere Gespräche am „Konflikt“-Tag waren herausfordernd und generativ in ihrer Auseinandersetzung mit den Unterschieden innerhalb unserer Gruppe. Wir rangen mit Definitionen von Mitschuld, Handlungsfähigkeit und Macht. Wir modellierten die Art des kollektiven Lernens, nach der sich CCC bei unserem ersten Treffen, dem BB11-Kurator_innen-Workshop, gesehnt hatte.


Unser letztes Gespräch im Rahmen des Symposiums war durch eine vollständige Umstrukturierung des geplanten Programms gekennzeichnet, so dass wir über die Gewaltsysteme, die wir geerbt haben, und unsere persönliche und kollektive Verantwortung, sie zu ändern, diskutieren konnten. Ich habe gelernt, dass es sehr wertvoll ist, sich Zeit zu nehmen, die flexibel ist, um großzügiges Zuhören und gegenseitiges Verständnis zu ermöglichen, damit die Wurzeln unserer Konflikte respektiert werden, während wir nach einer Lösung suchen. Sinnvolle, integrative, kollektive Arbeit erfordert Geduld.


Die Überlegungen auf dieser Plattform bieten kleine Einblicke in einen Diskurs der Kunst-Arbeit, der sich über drei Tage entwickelte und bis spät in die Nächte an den Tischen im Freien des Südblocks am Kottbusser Tor andauerte, trotz eines ungewöhnlich regnerischen und kalten Augusts. Mit der Veröffentlichung dieser Texte treten wir in die letzte Phase des CCC ein: die Phase des Teilens. Wir stellen die kollektiven Erkenntnisse der Öffentlichkeit über diese Website zur Verfügung, während wir darüber diskutieren, wie wir unsere Arbeit fortsetzen können, wenn auch in einer weniger institutionalisierten Weise, wenn die offizielle Projektunterstützung durch die nGbK vorbei ist.


Unsere Arbeitsgruppe bildete sich innerhalb von Konflikten, und selbst als wir zusammengefunden hatten, schritten wir nicht ohne Konflikte voran. Wir arbeiten in der dritten Phase unseres Projekts mit zwei Mitgliedern weniger zusammen als zu Beginn. Jeder von uns hat mit unterschiedlichen Kapazitäten gekämpft, um inmitten einer laufenden Pandemie zur kollektiven Arbeit beizutragen, insofern wir mehrere destabilisierende Herausforderungen in unseren Familien erlebt haben, darunter ein internationaler Umzug, eine Geburt und mehrere Todesfälle von geliebten Menschen. Dies  bezeugt  unser Engagement für diese Forschungsfragen und füreinander, dass wir uns immer noch regelmäßig über eine Zeitverschiebung von neun Stunden hinweg treffen und Gelegenheiten für andere organisieren, sich an dem Gespräch zu beteiligen.

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