Raum kuratieren: Bottom-up/Bottom-down/Bottom-around

oder „Wer interessiert sich für das Unten?“ 

Reflektionen
von Cẩm-Anh Lương
2024

Wie kann die kuratorische Praxis unterschiedliche Perspektiven und Stimmen einbeziehen, und welche Konflikte können dabei entstehen? Wo können wir eine Geschichte finden, die ungehörte, marginalisierte, feministische und postkoloniale Stimmen von unten nach oben einschließt? 

Dies waren einige der Fragen, die während eines Symposiums zum Thema „Curating through Conflicts with Care“ mit Lama Al Khatib und Cornelius Refem Fogha Mc gestellt wurden. Als kunstschaffende Person war ich beeindruckt von der Notwendigkeit eines Bottom-up-Ansatzes, mit dem die Herausforderungen in der bestehenden Infrastruktur erkannt und ein integrativeres Kunst-Ökosystem geschaffen werden könnte. Obwohl mir mehrere Ansätze in den Sinn kamen, gingen mir vor allem diese Fragen nicht aus dem Kopf. Wie können wir also von unten anfangen und uns nach oben arbeiten (und vielleicht wieder zurück nach unten)? Wer interessiert sich für das Unten? 

Kurze Antwort: Unten ist das Fundament. Ohne das Unten gäbe es kein Oben! 

Sara Ahmed weist darauf hin, dass Diversity Worker darauf hinarbeiten, Organisationen zu ermutigen, sich für mehr Vielfalt zu verpflichten, aber die Interpretation dieser Verpflichtung innerhalb dieser Organisationen variiert 1 . Die Realität sieht so aus, dass es keinen speziellen Raum für diejenigen gibt, die ganz unten stehen, und dass die oberste Verwaltungsebene die Diversity-Arbeit oft nicht ernst nimmt, was die Arbeit für diejenigen in weniger machtvollen Positionen schwierig macht. Wenn mehrere Fristen gleichzeitig näher rücken und Herausforderungen sich anbahnen, haben diejenigen, die nicht an der Spitze stehen, Mühe, die gleiche Leistung zu erbringen aufgrund der zusätzlichen Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind. 

Während eines Gemeinschaftsprojekts im Jahr 2021, das sich auf die Erfahrungen von BIPOC und transnationalen Studierenden in einem überwiegend weißen Raum konzentrierte, wurde deutlich, dass Universitäten die Bedeutung von Räumen, die von Studierenden für soziale Kontakte organisiert werden, oft nicht anerkennen. Der „Performance-Raum“ wurde für diejenigen geschaffen, die ihn brauchten, und nicht für diejenigen, die in eine bestimmte Kategorie passten. Tokenisierung und Internalisierung führten zu Brüchen zwischen den Teilnehmer_innen und offenbarten die Hierarchien im Unten. Als ich letztes Jahr an einer prestigeträchtigen Ausstellung in einem Kollektiv arbeitete, wurde mir erneut ein sich wiederholendes Muster der Hierarchie bewusst. Die Worte, mit denen Vielfalt gepriesen und Ausgrenzung innerhalb der Kunstinstitutionen bekämpft wird, erfassen oft nicht die gewalttätigen Realitäten, die sich zwischen ihnen verbergen. Was verbindet die da unten mit denen an der Spitze? Wo finden wir eine gemeinsame Basis? 

Auf der einen Seite gibt es Menschen wie mich – eine Migrantin der ersten Generation, Neuankömmling, Mutter, Berufswechslerin, Spätstudierende und Künstlerin (je nachdem, in welchem Jahr ich in Deutschland angekommen bin). Auf der anderen Seite steht vielleicht ein weißer, einheimischer, etablierter Künstler mit bestehenden Netzwerken, der seine Kunst auf Inklusion ausrichtet und für seine Bemühungen gelobt wird, Migrant_innen oder Geflüchteten, die von Kunstinstitutionen ausgeschlossen sind, Zugang zu verschaffen. Wer profitiert langfristig, nachdem eine Ausstellung kuratiert wurde? Besteht das Kollektiv weiter? Wer erhält die Anerkennung? Wer kehrt nach einem kurzen Aschenputtel-Moment – einem Sternschnuppen-Moment – in die Unterdrückung zurück, nur um dann in der grausamen Alltäglichkeit derjenigen zu verschwinden, die ganz unten stehen? 

Während ich über diese großen Fragen nachdachte, schaute ich aus meinem Fenster auf meine Nachbarschaft und bemerkte ein Naturwunder auf dem Rasen – einen Kreis aus Pilzen, bekannt als Feenring 2 . Er wuchs auf wundersame Weise nach zwei Tagen mit starkem Regen Anfang August in Berlin. Dieses Naturwunder erinnert mich an eine Achtsamkeitsübung von Shivā Āmiri am zweiten Tag des Symposiums, bei der wir einen Kreis bildeten und achtsam unsere Umgebung und unseren Atem wahrnahmen. Es war ein zeitlich süßer Moment der (körperlichen) Vereinigung unter den Teilnehmenden, als wir einen Kreis in dem Bruch(buchstäblich) zwischen den Gebäuden des Südblocks bildeten, während die Stadttauben noch immer ihre Krümel auf dem Boden neben uns pikten. 

Wenn man die kuratorische Praxis als eine soziale Tätigkeit betrachtet, die sich auf die Verbindungen zwischen Objekten, Menschen, Orten und Diskursen konzentriert (Maria Lind & Jens Hoffmann 3 ), was können wir dann von der natürlichen Infrastruktur eines Feenrings lernen? Ein Feenring beginnt damit, dass das Myzel eines Pilzes auf eine günstige Stelle fällt und ein unterirdisches Netz aus feinen, röhrenförmigen Fäden, den Hyphen, aussendet. In ähnlicher Weise können auch kuratorische Praktiken mit unterschiedlichen Perspektiven und Stimmen beginnen. Machtungleichgewichte zwischen etablierten Bäumen und dem zerbrechlichen Pilzgeflecht können zu Konflikten führen, die für unwissende menschliche Augen vielleicht nicht sichtbar sind. Wie können Pilznetzwerke mit ihrer Umgebung kommunizieren, um Ressourcen zu teilen? Sprachbarrieren, unterschiedliche Umgebungen und andere zeitliche Aspekte können die Kommunikation behindern. Einige Mitglieder des Ökosystems, wie z. B. Bäume und Wildblumen, haben Pilze bereits in ihr „Programm für biologische Vielfalt und Integration“ aufgenommen. Andere sind vielleicht noch Fragmente von Myzel, die im Boden herumschwimmen und auf Sichtbarkeit und Einbeziehung hoffen. Denn könnte dieser Baum ohne die Nährstoffe, die einige der Hyphen im Netzwerk liefern, langfristig, fest, sichtbar und nachhaltig an der Spitze existieren? 

Kuratorische Praxis kann damit beginnen, zu versuchen, potenzielle Netzwerke zu identifizieren, noch bevor sie existieren, so wie ein Feenring durch das Myzel eines Pilzes gebildet wird. Dazu muss man mit Künstler_innen oder Mitgliedern von Kollektiven kommunizieren und Vertrauen aufbauen, was nicht von heute auf morgen möglich ist!  

Die Pilze, die aus dieser kreisförmigen unterirdischen Matte emporwachsen, bilden über der Erde ein ähnliches Muster und spiegeln in kuratorischen Praktiken verschiedene Perspektiven und Stimmen wider. Vielfalt und Inklusion sollten ein fortlaufender Prozess sein, der kontinuierliche Aufmerksamkeit und Anstrengung erfordert, so wie die äußeren Ränder des Feenrings Jahr für Jahr weiter wachsen. 

  1. Sara Ahmed, “The language of diversity”, Ethnic and Racial Studies, 30:2, 2007, S. 235-256, DOI: 10.1080/01419870601143927.
  2. Wikipedia-Autor_innen, “Fairy ring”, Wikipedia. https://en.wikipedia.org/wiki/Fairy_ring (Zugriff 2023).
  3. Jens Hoffmann, Maria Lind, „To Show or Not to Show“, Mousse Magazine, Dezember 2011, https://www.moussemagazine.it/magazine/jens-hoffmann-maria-lind-2011/ (Zugriff 2023).

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